Aus dem Tagebuch der Geschäftsstelle von Dialog International:
In diesem Tagebuch wird in lockerer Folge aus der alltäglichen Arbeit von Dialog International mit den Partnern im Kongo berichtet. Das Tagebuch gibt eine persönliche Meinung wieder. auf keinen Fall die offizielle Meinung von Dialog International
Mit den Tagebucheintragungen bin ich hoffnungslos zurückgeblieben.
Mitten in der Nacht werde ich in Uvira von einem ohrenbetäubenden Lärm geweckt. Stockdunkel. Hatte ich nicht vorhin den ersten Hahnenschrei gehört? Unmittelbar neben dem Hotel befindet sich die große Moschee von Uvira und es ist Freitagmorgen, 04.30 Uhr. Der Muezzin ruft, verstärkt durch Lautsprecher, zum Gebet. Uvira hat relativ viele Muslime. Tansania ist nicht weit. Dann ist Ruhe, aber nur für einen Moment. Jetzt plärrt der Chor der Moschee orientalische Melodien und dann scheint eine Predigt übertragen zu werden. Mindestens eine Stunde geht das so weiter. Ich bin Gott dankbar, nicht ständig neben einer Moschee leben zu müssen. An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken. Die Sonne geht auf, der Tag beginnt.
Moschee von Uvira
Nach dem Frühstück besichtigen wir einige der Gruppen, die an dem Projekt Brot und Frieden“ teilnehmen. Oben in den Bergen zeigen uns Frauen ihre Schweineställe, andere ihre Ziegen, die sie als Mikrokredit bekamen. Dann kommen wir zu einer anderen Gruppe, die auch Schweine und Ziegen bekommen hat, aber auch eine Reismühle betreibt. Diese Mühle ist zu einem Segen für die Gruppe geworden, weil dadurch der geschälte Reis einen viel höheren Preis erzielt und der Abfall sogar noch an die Schweine verfüttert werden kann. Wir besichtigen auch das Pilotzentrum, wo eine ganze Reihe von Schweine für die Verteilung an Bedürftige vorbereitet werden. Und dann zeigt uns Matthew von CEFI, der übrigens auch an der Solarkonferenz in Düsseldorf im vorigen Jahr teilnehmen konnte, einige seiner Projekte: Zuallererst eine Schule für Behinderte: Blinde Kinder lernen die Braille-Schrift, taubstumme Kinder lernen sich mit den Fingern zu verständigen. Und das alles ohne irgendwelche Zuschüsse von außen in allerärmlichsten Verhältnissen.
Straßenszene auf dem Dorf bei Uvira
Die Rückfahrt ging wieder an den vielen Straßensperren vorbei und war genauso abenteuerlich wie die Hinfahrt. Fast ein Dutzend Kontrollen durch Kindersoldaten bis Kamanyola und dann wieder einige kurz vor Bukavu. Und nicht zu vergessen, eine Kindersoldatenbarriere mitten im Gebirge. Sie wollten etwas von uns – und zogen schließlich glücklich und zufrieden mit einer leeren PET-Wasserflasche ab...
In Bukavu Regen. Wir kommen vom Gebirge und müssen innerhalb der Stadt einige hundert Meter runterfahren. Die Straße hat sich längst in eine Schlammrutschbahn verwandelt, genauso gefährlich wie Eisglätte im Winter in Europa. Die Sonne ist schon untergegangen. Keine Straßenbeleuchtung. Die Hütten beidseits der Straße liegen im Dunkel. Unzählige Menschen strömen uns im Regen entgegen auf dem Heimweg von der Stadt in ihre Hütten. Alle zu Fuß. Im Licht der Autoscheinwerfer weichen sie geschickt aus. Und am Straßenrand immer noch der Abendmarkt“. In allen größeren Städten und Gemeinden findet sich ein Abendmarkt“. Allereinfachste Verkaufsstände. Im Schein einer Kerze, einer Petroleumlampe oder vielleicht nur von einem Feuerzeuge und nicht selten ohne Lichtquelle wird an die vielen heimkehrenden Menschen das Nützlichste zum Lebensbedarf angeboten. Hier finden sich auch Frauen, die mit ihren Mikrokrediten Kleinhandel betreiben und täglich ein Einkommen von höchstens einem Dollar erwirtschaften – genug für eine Mahlzeit für die Kinder. Nicht selten, so höre ich, hängt eine ganze große Familie an einem winzigen Marktstand und ist auf die Einnahmen angewiesen. Übrigens ist der Abendmarkt“ nur eine Variante. Märkte finden sich überall im Land, auch in den kleinsten Dörfern. Die Preise liegen keineswegs fest. Alles wird ausgehandelt. Die Kongolesen sind Marktwirtschaftler par excellence. Wenn Lumumba einst als Kommunist verschrien wurde, war dies üble Propaganda ohne Kenntnis der Realität im Land. Heute findet der Abendmarkt im strömenden Regen statt, unverdrossen, scheinbar....
Den Sonntag drauf fuhren wir nach Lwiro.
In Lwiro liegt ein wissenschaftliches Institut, in dem Biologen, Zoologen, Botaniker, Veterinärmediziner und ein paar wenige mehr ohne jede öffentliche Unterstützung unter allereinfachsten Bedingungen eine ausgezeichnete Forschungsarbeit leisten.
Institut in Lwiro
Zum Beispiel wird eine ungefährliche Manioksorte gezüchtet, man hat herausgefunden, unter welchen Bedingungen Äpfel in den Tropen gedeihen oder auch Orangenbäume, die sonst eher in subtropischen Breiten wachsen. Die Zoologie hat zahlreiche elternlose Affenbabies in Pflege genommen, die zu geeigneter Zeit wieder in dem nahen Nationalpark ausgesetzt werden, darunter auch einige Schimpansenwinzlinge. Sämtliche Pflanzen des Kongo sind registriert und dokumentiert.
Vor allem hat uns aber ein kleines Stück Regenwald imponiert, der erst 1990 gepflanzt wurde und inzwischen bereits hohe, schattenspendende Bäume hat. Besonders interessant für die Botaniker war, daß sich seither in diesem kleinen Stück zahlreiche Pflanzen angesiedelt haben, die sonst nicht im Umkreis zu finden sind, deren Same aber offenbar noch im Boden schlummert. Uns war sofort klar, daß wir in Luhwindja schon in 10 Jahren eine solche Situation haben. Wiederaufforstung lohnt sich! Kein Zweifel.
Exemplarischer kleiner Regenwald beim Institut von Lwiro, 1990 gepflanzt
Versuchsplantage bei Lwiro _ unter anderem werden hier Apfelbäume gezüchtet
Das Mittagessen fand in einem einst feudalen Gästehaus aus der Kolonialzeit statt, das einen imposanten Eindruck vom herrschaftlichen Leben der belgischen Herren gab. Heute dient dieses Haus als Restaurant, wo Besucher aus der Region gerne speisen. Und dies ist tatsächlich die einzige regelmäßige Einnahmequelle für das gesamte Institut. Die wenigen verbliebenen oder ausharrenden Wissenschaftler halten sich ansonsten durch gelegentliche Honorarzahlungen, die sie bekommen, über Wasser. Vom kongolesischen Staat sei das Institut, das sich pro forma in dessen Besitz befindet, längst vergessen“ worden, schon seit vielen Jahren. Deshalb träumen die Mitarbeiter von Partnerschaften mit europäischen Instituten.
Restaurant in Lwiro
Auf der Rückfahrt machen wir in der Nähe des Flughafens von Bukavu einen Halt bei einem unscheinbaren Büro, in dem etwa ein Dutzend moniteurs juridiques“, die vor einem Jahr von Dialog International Bukavu ausgebildet wurden, auf uns warteten. Nach den obligatorischen Begrüßungsreden kam im Gespräch heraus, daß ein Mitarbeiter des Büros bereits ein Meisterstück für die Zivilgesellschaft des Kivu abgegeben hat: In diesem Büro wurden die Informationen zusammengetragen, die hieb- und stichfest beweisen konnten, daß es keine kongolesische Beteiligung an dem Massaker an den kongolesischen Banyamulenge-Flüchtlingen in Burundi im Sommer d.J. gab. Seitdem sind sämtliche Beschuldigungen des Kongo in dieser Sache verstummt. UNO und westliche Regierungen haben die Gutachten studiert und akzeptiert.
Der Montag stand im Zeichen der Mamans UMOJA von Ciherano, ein Ort etwa 50 km westlich von Bukavu. Hier hat Anfang September unser Projekt für 350 mißhandelte, geplünderte und vergewaltigte Frauen begonnen. Wieder rumpelten wir mit einem Jeep hoch hinauf ins Gebirge, doch zunächst durch die Vororte Bukavus, die an den Berghängen kleben und von heftiger Erosion bedroht sind. Ich scheue mich, hier von Slums zu sprechen. Auch die ärmlichste Hütte strahlt eine Würde aus und ihre Bewohner, das ist mir immer wieder aufgefallen, sind fast immer sehr sauber und proper gekleidet. Bis zum Stadtrand müssen wir noch mehrere Militärkontrollen passieren, teilweise von Kindersoldaten und in der Regel müssen wieder ein paar Scheine im Wert von kaum 30-50 Eurocent rübergeschoben werden, damit sich der Schlagbaum öffnet. Sicherheit à la congolaise. Da der Staat die Soldaten kaum bezahlt, holen sie sich Geld von der Bevölkerung. Doch bald sind wir auf dem Land, etwas Wald, viele Bananen- und Maniokplantagen und nach einigen Zeit halten wir vor einem Gesundheitszentrum. In dieser Station wurde bereits eine Reihe von vergewaltigten Frauen der Mamans UMOJA behandelt. Im Vorraum warten etwa 15 Frauen und zahlreiche Kinder. Der Arzt zeigt uns sein spärlich und ärmlich ausgestattetes Zentrum. Für Aidstests hat er gerade noch 15 Stäbchen. Auch die übrigen Medikamente, die er verteilen kann, sind spärlich. Er kann pro Tag kaum mehr als 15-20 Menschen wirklich behandeln. Die Lage des Zentrums macht einen ziemlich trostlosen Eindruck und doch versuchen die wenigen Mitarbeiter den leidenden Menschen zu helfen und das beste daraus zu machen. Einige kleine Zeichen der Professionalität finden sich, z.B. ein kleines Labor, ein Mikroskop, die winzige Apotheke...
Begrüßung in Mugogo (Ciherano) von den Mamans UMOJA
Wenig später werden wir in der Kirche von Mugogo von etwa 300 Mamans UMOJA empfangen: Erst ein Lied und ein Gebet und dann die Vorstellung der örtlichen Gruppen. Schließlich treten nacheinander etwa ein Dutzend Frauen nach vorne und berichten uns über ihre schrecklichen Erlebnisse. Einige zeigen uns an den Armen schlimmste physische Vernarbungen. Sie berichten, wie ihre Ehemänner gefoltert wurden. Zwei sagen, ihre Männer hätten seit den Vorgängen ihren Verstand verloren. Eine weitere Frau berichtet, ihr Mann sei verwirrt davongelaufen und sie habe ihn seitdem nicht mehr wiedergesehen. Die Vergewaltigungen fanden unter den Augen der Kinder statt. Und eine Frau wurde meist von einer ganzen Horde Soldaten hintereinander vergewaltigt. Mugogo und Ciherano stehen für schlimmste Kriegsverbrechen im Kongokrieg.
Kirche Mugogo, Vergewaltigte Frauen geben Zeugnis von ihrem Leiden
Wir fahren weiter und kommen in ein fruchtbares weites Tal. Soweit das Auge reicht Maniokfelder. Dann kommen wir zu einer Schule, wo bereits einige hundert Schüler in ihren blau-weißen Schuluniformen auf uns warten. Fast alle sind Waisenkinder.
Was heißt Schule? Der Unterricht findet in einer Baracke oder einem Bretterverschlag statt, mit meist einem einzigen winzigen Fenster. Die Kinder sitzen dichtgedrängt und ihr Lehrer unterrichtet sie für einen Hungerlohn. Als wir kommen, beginnen die Kinder zu singen und einer ihrer Betreuer erzählt uns von ihrem Schicksal. Dann erzähle ich etwas von Deutschland und von unserer weiten Reise in den Kongo und daß Dialog International für Demokratie, Frieden und Entwicklung arbeitet. Ich muß noch viele Kinderhände schütteln und dann geht’s weiter ins Pfarrzentrum von Ciherano.
Auch dort warten noch etwa 200-300 Frauen und wieder einige Reden.
Empfang in Ciherano
Doch nicht nur das. Die Mamans UMOJA haben einige Geschenke für uns vorbereitet: Früchte ihrer Felder und Honig aus eigenem Anbau. Eine traditionelle Trommel, ein Stock und ein breitkrämpiger Hut, beides Symbole für einen Chef“. Ich bin ganz beschämt. Wir kamen mit leeren Händen und hier werden wir reich beschenkt. Aber ablehnen wäre eine Beleidigung. Wir bedanken uns höflich und begeben uns ins Pfarrzentrum zum Mittagessen.
Das Projekt mit den Mamans UMOJA hat Anfang September begonnen. 350 vergewaltigte Frauen bekommen seitdem moralische, materielle, psychologische und medizinische Hilfen.
Die Gäste werden beschenkt...