Aus dem Tagebuch der Geschäftsstelle von Dialog International

In diesem Tagebuch wird in lockerer Folge aus der alltäglichen Arbeit von Dialog International mit den Partnern im Kongo berichtet. Das Tagebuch gibt eine persönliche Meinung wieder. auf keinen Fall die offizielle Meinung von Dialog International

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Mittwoch, 24. November 2004

Aus meinem Schlafzimmer in Luhwindja fällt mein Blick auf den Hinterhof. Kaum ist es hell um halb sechs morgens, beginnt dort reges Treiben. Auf einem Drei-Steine-Ofen bereiten die Frauen das Essen vor. Wasser muß in Kanistern zu Fuß ca. 1 km weit geholt werden. Jeder Tropfen Wasser, den ich benutze, hat also jemand herbeigeschleppt. Plötzlich bekommt Wasser eine ganz andere Qualität. Eine halbe Waschschüssel reicht für die Morgentoilette und bei der Vorstellung, daß warmes Waschwasser über dem Drei-Steine-Ofen erwärmt wurde, verzichte ich auf diesen Luxus. Auch das Holz für den Ofen wird von Frauen und Kindern gebracht. Die Holzpäckchen werden meist auf dem Kopf getragen.

Nach dem Frühstück brechen wir auf nach Burhinyi. Luhwindja liegt im Tal, Burhinyi noch einmal ein paar hundert Meter höher auf einer Ebene. Die Straße führt vorbei an einigen der schlimmsten Umweltsünden Luhwindjas: Gierige Goldsucher haben rücksichtslos jeden Zentimeter Erde gesiebt und Regen und der Fluß den Rest zu den Erosionsschäden hinzugefügt. Innocent sagt, diese Orte seien Massengräber, da viele Goldsucher mit dem Leben bezahlten, wenn das Erdreich über ihnen zusammenbreche. und niemand nach ihnen frage oder suche.


Auf dem Weg nach Burhinyi: Goldsucher durchwühlen jeden Zentimeter und hinterlassen eine Mondlandschaft
- oder sie werden von herunterstürzendem Geröll lebendig begraben...

Dann geht’s nur noch bergauf in langen Serpentinen. Auf halbem Wege kommen uns zwei Baumschulgärtner aus Burhinyi auf ihren Fahrrädern entgegen. Sie waren der Spähtrupp, der auskundschaften sollte, wann endlich die Delegation aus Deutschland eintrifft, die ungeduldig erwartet wird. Kurz später empfängt uns Jean, der Projektleiter, der uns mit einigen Dutzend Frauen und Männern auf dem Weg aus Luhwindja entgegengeeilt ist.



Begrüßungskomitee von Burhinyi

Gemeinsam kommen wir in Burhinyi an, wo praktisch die gesamte Bevölkerung auf den Beinen ist, um uns zu begrüßen. Wir müssen Hunderte von Händen schütteln und werden dann vom Mwami (traditioneller König der Grafschaft Burhinyi) in einer kurzen Ansprache begrüßt, der seine Freude und Dankbarkeit über den Beginn des Wiederaufforstungsprojekts in Burhinyi zum Ausdruck bringt. Auch wir begrüßen die Bevölkerung in einer Rede und erzählen, daß wir im jetzt winterlichen Deutschland von den Problemen Burhinyis gehört hätten und davon, wie sehr die Bevölkerung des Gebiets unter dem Krieg gelitten habe (die Bewohner mußten zweimal komplett fliehen, während ihre Hütten geplündert und in Brand gesteckt wurden. Die meisten hatten in Luhwindja Unterschlupf gefunden, das im Tal eher verschont wurde). Wir wünschten der Bevölkerung, daß in wenigen Jahren auch in Burhinyi die Berghänge wieder genauso grün sein würden, wie inzwischen jene von Luhwindja.



Der Mwami von Burhinyi mit dem Projektleiter und der Delegation aus Deutschland

Danach besichtigen wir eine der Baumschulen am Dorfrand und eine Pflanzstätte, die bereits für das Einpflanzen in den nächsten Wochen vorbereitet ist,. indem Löcher für die jungen Bäume ausgehoben wurden.

Anschließend sitzen wir im Büro unserer Partnerorganisation zusammen für ein Projektgespräch, bei dem auch Probleme angesprochen und dann einvernehmlich gelöst werden. Die Beratungen sind sehr konstruktiv und wir haben keinen Zweifel, daß hier mit einer engagierten Bevölkerung ein gutes Projekt entsteht. Der Unterschied zu Luhwindja ist der, daß dort in den letzten Jahren bei der Bevölkerung viel Überzeugungsarbeit geleistet werden mußte, während der Wunsch nach Wiederaufforstung in Burhinyi aus der Bevölkerung selbst kam.


Landschaft bei Burhinyi vor der Wiederaufforstung

Mittags gabs noch einen Empfang mit Essen beim katholischen Pfarrer von Burhinyi, der uns stolz seinen Garten zeigte, in dem nicht nur zu sehen ist, welche Pflanzenvielfalt in Burhinyi gedeiht, sondern, daß auch mediterrane und teilweise sogar mitteleuropäische Früchte in diesem Hochland gedeihen, die im tropischen Tiefland nicht mehr angepflanzt werden können. Während ein Gewitter aufzieht, verabschieden uns Hunderte winkende Hände und wir fahren über Luhwindja und Kaziba zurück nach Bukavu. Dabei gilt es, wieder 1.500 Meter Höhenunterschied über Serpentinenfeldwege zu überwinden, die nur mit Vierradantrieb zu bewältigen sind. Neben der Straße geht’s nicht selten weit über 100 Meter tief runter ins Tal. Uns begegnet kein einziges weiteres Auto, bis wir auf die Straße aus Uvira treffen.

Schon am Stadtrand von Bukavu, hoch über der Stadt, säumen winzige Marktstände die Straße. „Schau mal“, so wurde mir gesagt, „so verdienen auch die Mamans mit ihren Mikrokrediten etwas Geld, wenn sie Kleinhandel betreiben.“ Meist bietet jeder Händler ein oder zwei Produkte an, oft Früchte des Feldes, die frühmorgens im Korb auf dem Rücken oder auf dem Kopf kilometerweit herbeigeschleppt worden sind. Und wenn ein heftiger Tropenregen runterkommt, verwandelt sich die aufgeweichte, abschüssige Straße in eine riesige Rutschbahn und nichts geht mehr. Das passiert in der achtmonatigen Regenzeit mindestens einmal am Tag, gehört also zum Alltag. Die Kleinhändler(innen) stehen im Regen und haben ihr Angebot mit Plastikfolien abgedeckt.

Am meisten beeindrucken mich die unglaublichen Menschenmengen, die zu Fuß unterwegs sind und irgendwelche Lasten tragen, meist auf dem Kopf. Was man alles auf dem Kopf tragen kann! Unglaublich. Ich sah Menschen 2 qm große Bleche auf dem Kopf balancieren, ebenso wie 3 m lange Holzbalken, Wassereimer natürlich und Taschen, Körbe, Kisten, Bananenstauden (sieht übrigens sehr schön aus), Holzbündel, Möbelteile – eigentlich alles, was ein Mensch anderswo mit den Händen tragen würde. Und mit welcher Grazie der oder die Träger sich fortbewegen durch die Menschenmassen, ohne daß dauernd etwas runterfällt. Dies ist wirklich die hohe Kunst der Balance, die von Kindheit an geübt wird. Und wenn man diese ganze Gesellschaft betrachtet, die das Chaos organisieren muß, so stellt man fest, alles ist genauso ausbalanciert. Leben im Kongo ist wie ein Drahtseilakt. Wer runterfällt ist verloren. Aber genauso, wie die Menschen ihre Lasten auf dem Kopf tragen, benutzen sie ihren Kopf um zu überleben und balancieren ganz sicher auf dem Drahtseil, und wer denoch mal hinfällt mit dem eleganten Kleid in den Matsch der Straße, lacht mit den anderen rundrum und steht wieder auf und geht weiter.

Überhaupt die Kleidung der Frauen: Ich habe noch nirgends Frauen so schön, elegant und farbenfroh gekleidet gesehen wie im Kongo. Und zwar auch die letzte Bäuerin auf dem Land. Natürlich, das Gewand war nicht mehr blitzsauber, wenn man von der Feldarbeit zurückkam und noch Holz gesammelt hatte oder Maniok und Bananen auf dem Kopf nach Hause trug. Aber die Kleidung gab dennoch einen Eindruck von der Würde und Eleganz der Menschen, die sie trugen. Dies ist wirklich bemerkenswert, weil im Dickicht der Großstädte des Nordens diese Würde und Eleganz z.B. bei Industriearbeitern oder Bürodamen verlorengegangen ist, bzw. nur noch äußerlich sichtbar im Parfümgeruch vernebelt wird. Eleganz ist aber offenbar ein innerer Wert, der am besten sichtbar zu sein scheint, wenn eine Frau mit einem Wasserkrug auf dem Kopf über einen Feldweg schreitet, in einer solchen Ausgeglichenheit und Sicherheit, die einen nur noch staunen macht.

Natürlich werden nicht alle Lasten auf dem Kopf getragen, sondern wo immer möglich Autos, Fahrräder oder Motorräder benutzt und das extensiv. Ich beschrieb bereits die Fahrt von Kigali nach Cyangugu im Sammeltaxi. Kongolesische Sammeltaxis machen noch einen drauf. Jeder scheint noch reinzupassen. Gepresst voll fahren die Toyota-Busse inklusive Gepäck über Stock und Stein. Das ist ein Gerumpel, das man sich in Europa einfach nicht vorstellen kann. Die Straßenverhältnisse sind einfach unbeschreiblich. Vielleicht noch ein klein wenig mit der Autobahn nach Berlin vor dem Fall der Mauer zu vergleichen, mit dem Unterschied, daß wir es hier mit Feldwegen zu tun haben, ohne jegliche Befestigung, die auf der Landkarte als „Nationalstraßen“ fungieren und entsprechend frequentiert sind. So die Straße nach Uvira, die weit über 1000 Meter Höhenunterschied zu bewältigen hat und wo Container transportiert werden, Tankwagen fahren, auf Lastwagen säckeweise Lebensmittel hoch aufgetürmt sind und obendrauf sitzen nochmal 10 oder 20 Menschen – auch wenn’s regnet. Somit ist die Fahrt im Sammeltaxi schon ein Luxus.

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