Der Pazifist 211 - 24. Juli 2006

Wahlen in der DR Kongo

Geringe Erfolgsaussichten

Von Muepu Muamba

Der folgende Kommentar von Muepu, Vorsitzender von Dialog International, erschien in diesen Tagen in der Zeitschrift einsEntwicklungspolitik. Wir dürfen den Text mit freundlicher Genehmigung des Autors und von einsEntwicklungspolitik hier nachdrucken. ( dp)

Wenig Hoffnung haben Kongolesen in die bevorstehenden Wahlen. Erdrückend sind aus ihrer Sicht die lange Geschichte nicht endender Gewalt und die Missetaten der "internationalen Gemeinschaft", ohne Substanz die Parteien, die sich zur Wahl stellen. Allerdings regt sich die Stimme des Volkes. (Redaktion einsEntwicklungspolitik)

Hypothek der Gewalt

Gewalto-kratische Republik Kongo müsste wohl die "Demokratische Republik Kongo" heißen. Täglich wird von Gewalttaten und ihren zahlreichen Opfern berichtet. Seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum heutigen Tag konnte das Land nicht der endemischen Gewalt entrinnen. Es wechselte aus der privaten Gewaltherrschaft von Leopold II. unmittelbar in die koloniale Gewalt über. Leopold verkaufte 1908 seinen "persönlichen Besitz" für einige Zehnmillionen Franken an den belgischen Staat: Das Land mit allem was darauf und darunter war, samt der Menschen, Tiere, Flüsse, Bäume und Bodenschätze. Dieser Akt an sich ist schon Ausdruck einer ungeheueren Gewalt.

Später, in der 60er Jahren glitt diese Gewalt der Kolonialzeit fast ohne Übergang in die Gewalt des Militärdiktators Sese Seko Mobutu. Und gegen Ende der 90er Jahre wurde Mobutu selbst von Laurent Desiré Kabila und seinen Verbündeten mit Gewalt verjagt. Eines ist bemerkenswert in dieser Ereigniskette der Gewalt: die ununterbrochene Präsenz der internationalen Staatengemeinschaft. Deshalb ist die einzig wirkliche Frage, was die DR Kongo betrifft: ob die internationale Staatengemeinschaft ein Fluch für den Kongo ist. Mehr als ein Kongoleser denkt so, da die internationale Staatengemeinschaft von Anfang an eng mit dem tragischen Schicksal des Landes verwickelt ist.

Hypothek der internationalen Staatengemeinschaft

Wer die jüngere Geschichte betrachtet, kann feststellen, dass das Land nur ein einziges Mal, 1959, demokratische Wahlen erlebt hat. Diese Wahlen führten zur Ernennung des ersten Ministerpräsidenten des unabhängigen Kongos: Patrice Lumumba. Er wurde kurz danach, am 17. Januar 1961 mit internationaler Komplizenschaft ermordet. Zur gleichen Zeit musste auch der damalige Generalsekretär der UNO, Dag Hammarskjöld, in Ndola (Sambia) "durch Unfall" sterben. Das Gerücht hält sich hartnäckig, dass dabei auch die Staatengemeinschaft ihre Hand im Spiel hatte wegen seiner Kongo-Politik. Ebenfalls war es die internationale Staatengemeinschaft, die Mobutu an die Macht gebracht hatte, und kaum anders war es bei der Machtergreifung von Laurent Desiré Kabila. Man kann sich ausmalen, welch geringes Vertrauen sie nun bei der kongolesischen Bevölkerung genießt.

Die Bevölkerung artikuliert sich

Seit der Ermordung von Patrice Lumumba am 17. Januar 1961 stellt sich die Frage der Legitimität der Macht in der DR Kongo. Das ist keine militärische, sondern eine politische Frage, die die kongolesische politische Elite und diejenige Akteure der internationalen Staatengemeinschaft, die in die Kongo-Krise verwickelt sind, vor den Wahlen beantworten müssen. Das kongolesische Volk wurde bis zum heutigen Tage von jeglicher Suche nach Lösungen für seine Probleme ferngehalten. Jetzt beginnt langsam die Bevölkerung sich zu artikulieren und will ihrer Stimme Gehör verschaffen. Wenn man wirklich will, dass die Wahlen im Kongo etwas bringen sollen, wäre es Zeit, dass diese Herrschaften mit dieser Bevölkerung rechnen. Man sollte aber keine Wunder von den Wahlen erwarten. Sie können nur der erste Schritt in die richtige Richtung sein: nicht mehr und nicht weniger. Vieles hängt vom Reifegrad der kongolesischen politischen Klasse und der Ehrlichkeit der Länder ab, die die internationale Staatengemeinschaft bilden. Man sieht an anderen Beispielen wie der Elfenbeinküste oder in Kongo-Brazzaville, dass die Wahlen kein einziges Problem der Legitimität der Macht gelöst haben.

Parteien ohne Alternative

Wer die politischen Diskussionen in der DR Kongo verfolgt, muss weiter besorgt sein. Die politischen Parteien scheinen sich auf ihre Anführer zu reduzieren. Man kann kein klares politisches Programm, keine neue Vision von der Gesellschaft erkennen, durch die sich die einzelnen Parteien voneinander abheben würden. Jede Partei und ihr Leader verwenden die gleiche pseudo-nationalistische Rhetorik, inklusive der Mobutisten, die mehr als 30 Jahre an der Macht waren und das Land ruiniert haben. Nichts unterscheidet diejenigen, die sich auf das Erbe von Lumumba und N'krumah berufen, von denen, die in der Nähe der Nationalen Fortschrittspartei (Parti National de Progrés) geortet werden - eine Partei aus der Zeit des Unabhängigkeitskampfes, die sich aber später als die "Gruppe von Binza" um Mobutu formierte. In dieser totalen Konfusion der Worthülsen stellt allein die katholische Kirche die wirklichen Fragen. Die kongolesische Bevölkerung scheint größere Reife zu besitzen als ihre politische Elite.

Die jetzigen Machthaber und die Mobutisten rechnen fest damit, dass sie mit ihrem Geld das entsprechende "Gewicht" erreichen werden und einiges für sich "bewirken" können. Allerdings ist da noch das Problem Etienne Tshisekedi, Vorsitzender der "Union pour la Démocratie et le Progrès Social" (UDPS), ohne deren Beteiligung die Wahlen doch keinen Sinn machen.

Übersetzung: Maria Németh Quelle: eins Entwicklungspolitik 13-14-2006 http://www.entwicklungspolitik.org/aktuelles-heft/

Pax Christi-Erklärung vom 20.7.06

Bundeswehr in Kinshasa: „Zivilen Friedensdienst“ im Kongo aufbauen – den mafiosen Rohstoffhandel bekämpfen

In diesen Tagen wurde der Hauptteil der Bundeswehrsoldaten nach Kinshasa entsandt. DiePax Christi-Kommission „Solidarität mit Zentralafrika“, welche die Kongopolitik der Bundesregierung kritisch begleitet, nahm dies zum Anlaß im Namen von PC neuerlich eine Erklärung herauszugeben. (vgl. dp 209) Die Kommission selbst hätte am liebsten noch sehr viel gründlicher an ihren Aussagen gefeilt, wenn für einmal – wie in Afrika – die Zeit keine Rolle spielte, doch auch so ist eine beachtenswerte Stellungnahme daraus geworden.

Gegner und Befürworter des EU-Einsatzes mit Bundeswehr-Beteiligung finden sich in den verschiedensten politischen Lagern. Wie auch immer: Der Kongo-Einsatz der Bundeswehr ist Realität. Deutschland kann sich aus der Verantwortung im Kongo nun nicht mehr davonstehlen. Daher kommt es politisch darauf an, dass die Bundesregierung konkrete und nachhaltige Einsätze zu leisten bereit ist:

Die Stationierung von EUFOR DR Kongo unter Führung und mit federführender Beteiligung von Bundeswehr ist abgeschlossen. Trotz Kritik aus eigenen Reihen und selbst vom katholischen Militärbischof Mixa, wird damit deutlicher denn je, dass Deutschland in die erste Liga der Mitspieler bei internationalen „friedensschaffenden“ Militärinterventionen aufzusteigen gewillt ist. Die Diskussion um Einsatzziele und Einsatzstrategie bleibt dabei, so ist zu fürchten, auf der Strecke. So wie sich die deutsche Bundesregierung durch verstärkte Übernahme von „Verantwortung“ in Afghanistan von ihrer Verweigerung im Irakkrieg faktisch freikauft, gewinnt sie in Kinshasa politischen Spielraum zur Zurückhaltung bei der im Herbst anstehenden Diskussion der Weltgemeinschaft um den nächsten schwergewichtigen „friedensschaffenden“ Blauhelmeinsatz in Afrika, nämlich im sudanesischen Darfur.

Auf die Wahlen richten sich sehr große Erwartungen und Hoffnungen, wie nicht zuletzt Meldungen aus dem „Pax Christi Netzwerk Große Seen“ zeigen. Andererseits sind schon jetzt Vorwürfe der Manipulation des Wahlkampfes und der Stimmzettelausgabe auf dem Tisch. Das Eskalationspotential im Zusammenhang mit dem ersten Durchgang der Parlaments- und Präsidentenwahlen am 30.7. ist vorprogrammiert. Auch an die EU-Truppe richten sich große Erwartungen, für das räumlich auf Kinshasa und zeitlich auf vier Monate begrenzte Mandat gibt es nur wenig Verständnis. Viele Menschen hätten am liebsten auch im Osten des Landes EU-Truppen stationiert, um damit sowohl die Rebellen als auch korrupte offizielle Armeeeinheiten in Schach zu halten, die sich ohne ordentliche Gehaltszahlungen an der Bevölkerung vergreift. In dieser Situation könnte sich die hoch gehaltene Neutralität von EUROR DR Kongo sehr schnell in einen Scherbenhaufen verwandeln.

Wie immer bei afrikanischen Konflikten verweist die Bundesregierung im Fall Kongo auf ihren finanziellen Einsatz auf bilateraler wie auf multilateraler Ebene. Es ist alarmierend, wie hierbei der Eindruck erzeugt wird, der militärische Einsatz sei nichts als eine Fortsetzung des finanziellen Einsatzes mit anderen Mitteln - gleichzeitig sind seit Jahren keine Mittel für den Aufbau eines Programms der zivilen Konfliktbearbeitung im Rahmen des „Zivilen Friedensdienstes“ vorhanden. Dabei geht es hier nur um einen winzigen Bruchteil der 56 Millionen Euro, die der viermonatige Einsatz der Bundeswehr in Kinshasa kosten soll. Gleiches gilt für das europäische Wahlbeobachterteam mit seinem lächerlich geringen deutschen Anteil. Das Globalbudget für Projekte des Zivilen Friedensdienstes beträgt 2006 nur 14 Millionen Euro. Das Potential der zivilen Konfliktbearbeitung, wie es von Friedensforschungsinstituten entwickelt und in praktische Ausbildungsprogramme umgesetzt wird, bleibt weitgehend ungenutzt, auch im Kontext von Konflikten, die beim Wahlkampf bzw. bei den Wahlen selbst auftauchen.

Und während die Bundeswehr die Wahlen in der kongolesischen Hauptstadt sichern soll, notfalls gegen die angeblich 15.000 Milizionäre der Präsidentengarde von Joseph Kabila, kommen nach wie vor Kleinwaffen in großer Zahl über die Grenzen vor allem zu Ruanda und Uganda. Um Waffen und Kämpfer zu finanzieren, verscherbeln skrupellose Warlords den Rohstoffreichtum des Kongo. In mehreren Stellungnahmen hat pax christi die Bundesregierung in den letzten Jahren gebeten, hier auf bi- und multilateraler Ebene vermehrt tätig zu werden. Der Lutundula-Bericht, lange vom kongolesischen Parlament unter Verschluss gehalten, belegt die Verstrickung bis hin in höchste Regierungskreise in den mafiosen Rohstoffhandel. Die Weltmärkte saugen die Rohstoffe auf – und tragen damit zur Fortsetzung von Krieg und Not bei. Mit dem Kimberley-Prozess hat die Diamantenindustrie auf die Blutdiamanten-Kampagne reagiert und ein Zertifizierungsverfahren eingeführt. Pax christi fordert die Bundesregierung auf, sich jetzt intensiv für die Entwicklung ähnlicher Zertifizierungsverfahren auch für andere Rohstoffe zu einzusetzen.

Darüber hinaus fordert die deutsche Pax Christi Bewegung die Bundesregierung auf, so rasch wie möglich ein Sonderbudget für ein exemplarisches Programm des Zivilen Friedensdienstes für den Kongo bereitzustellen, denn die Projektideen verschiedener Trägerorganisationen der vergangenen Jahre sind vor allem am Finanzierungsvorbehalt gescheitert.

Bad Vilbel, den 20.7.2006

Buchbesprechung:

Feldlektüre

Die Ergebnisse der Friedensforschung bleiben den Institutionen der Bundeswehr keineswegs verborgen, und gelegentlich hört man, dass sie zumindest in der Offiziersausbildung intensiv diskutiert werden. Dies führt noch nicht zur massenhaften KDV, aber vielleicht zu neuen Perspektiven für die Mitwirkung an UNO-Einsätzen. Im Falle des Kongo wäre vermutlich ein tatkräftigeres Trockenlegen der Waffenzufuhr und der verschlungenen Finanzierungen dazu, die weitgehend über diskrete europäische Bankkonten laufen, wirkungsvoller und billiger als spektakuläre Militäreinsätze, die höchstens einige hundert Bundeswehrsoldaten tropentauglich machen. Dazu gehört auch die nachfolgend von Dr.Heinz Werner Wessler besprochene Veröffentlichung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, die sozusagen als Feldlektüre den deutschen Kongosoldaten in den Tornister gelegt wurde. Dieses Amt hat sich in der Vergangenheit immerhin bei der Aufarbeitung der Nazi-Geschichte positiv hervorgetan.

Demokratische Republik Kongo.

Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Bernhard Chiari und Dieter H.Kollmer. Paderborn [etc.]: Ferdinand Schöningh, 2006. 216 Seiten, 12,80 Euro

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt hat innerhalb von zwei Monaten eine 216-seitige Buchpublikation auf die Beine gestellt, ein „Wegweiser zur Geschichte : Demokratische Republik Kongo“. Geld ist da für den Einsatz und auch für begleitende Maßnahmen – von 56 Millionen Euro ist die Rede -, allerdings nicht für einen größeren deutschen Beitrag an der europäischen Wahlbeobachtermission. Und schon einmal gar nicht für Projekte der zivilen Konfliktintervention. Trotz Bemühungen von verschiedenen Trägerinstitutionen gibt es bis heute noch keine einzige Stelle im Rahmen des Programms „Ziviler Friedensdienst“ in der DR Kongo.

Das Taschenbuch ist der dritte Band in der Reihe „Wegweiser zur Geschichte“ des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. Die beiden Vorgängerbände beschäftigen sich mit Bosnien-Herzegowina und Afghanistan – kleine Kompendien, die den Einsatzkräften in die Hand gedrückt werden – „als Unterstützung eines möglichen deutschen Auslandskontingentes [sic], als Ausbildungshilfe der Bundeswehr und ebenso als Lektüre für zivile Leserinnen und Leser“, heißt es im Vorwort von Hans Ehlert, Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes.

Der Band besteht aus insgesamt 21 Autorenbeiträgen, die zu zwei Abteilungen unter den Obertiteln „Historische Entwicklungen“ und „Strukturen und Lebenswelten“ sortiert sind. Man hat sich dazu prominente Autoren von Helmut Strizek bis Dominic Johnson zusammengesucht. Es geht um Geschichte und Gegenwart des Kongo von der Zeit vor der portugiesischen Entdeckung der Kongo-Mündung 1482 bis zur Gegenwart, zum Charakter der Mobutu-Herrschaft zum „Fluch der Ressourcen“, vom Genozid in Ruanda bis zu „Pfeilern des Alltagslebens“, „Regionale Anarchie als internationales Problem“ (Volker Matthies) bis zur „kongolesischen Literatur zwischen mündlicher Tradition und französischen Einflüssen“ (Bernhard Chiari). Zwischendurch gibt es eine Reihe von redaktionellen Kastentexten wie zum „Kongo-Möller: Eine deutsche Söldnerkarriere“, zum Charakter der „Force publique“, den Kongo-Gräueln unter Leopold II und dem legendären Boxkampf zwischen George Foreman und Mohammed Ali in Kinshasa 1974, aber auch zu AIDS als umfassende Bedrohung.

Man wundert sich allerdings, dass ausgerechnet in einem Band des „Moduls Einsatzunterstützung“ ein Beitrag über das Problem der Kindersoldaten und der Warlordisierung des Kongo fehlt. Die Religion ist mit einem isolierten Beitrag über die Situation der katholischen Kirche (nicht der evangelischen, nicht der afrikanischen Kirchen) spürbar unterrepräsentiert. Eine Liste von „Erinnerungsorten“, Jahrestagen, Internet-Adressen, Literaturliste und Musikhinweise vervollständigen den kritisch-informativen Band.

Der Band gehört zur Einsatzunterstützung von EUFOR DR Kongo – doch ohne Finanzierungshilfe der Bundeswehr gäbe es dieses dichte Kompendium nicht. Man kann nur staunen, wie es einem Institut der Bundeswehr gelungen ist, in so kurzer Zeit eine so fundierte Publikation zusammenzustellen. Ein Bändchen, wie es den Kongo-Interessierten seit langem vorschwebt. hww

Krieg im Nahen Osten:

DAS WAHRE ZIEL

von Uri Avnery

Das wahre Ziel besteht darin, das Regime im Libanon abzusetzen und eine Marionettenregierung zu installieren.

Das war das Ziel von Ariel Sharons Invasion des Libanons 1982. Sie war erfolglos. Aber Sharon und seine Schüler im Militär und in der politischen Führung haben es niemals wirklich aufgegeben.

Wie schon 1982 wurde die gegenwärtige Operation in vollständiger Absprache mit den USA geplant und ausgeführt.

Wie damals gibt es keinen Zweifel darüber, dass sie mit einem Teil der libanesischen Elite abgesprochen war.

Das ist die Hauptsache. Alles andere ist Lärm und Propaganda.

Am Vorabend der Invasion von 1982 wies Außenminister Alexander Haig Ariel Sharon darauf hin, dass es vorher „eine klare Provokation“ geben müsse, die die Welt akzeptieren würde.

Die Provokation fand tatsächlich statt - genau zur angemessenen Zeit - als Abu Nidals Terrorbande versuchte, den israelischen Botschafter in London zu ermorden. Dies stand in keiner Verbindung zum Libanon und erst recht nicht zur PLO (der Feindin von Abu Nidal), aber es erfüllte seine Funktion.

Diesmal wurde die notwendige Provokation durch die Entführung zweier israelischer Soldaten durch die Hisbollah geliefert. Jeder weiß, dass sie nur durch einen Gefangenenaustausch befreit werden können. Doch wurde die riesige, seit Monaten vorbereitete Militärkampagne den Israelis und der internationalen Öffentlichkeit als Rettungsaktion verkauft. (Seltsam genug, dass das gleiche zwei Wochen vorher im Gaza-Streifen passierte. Hamas und ihre Partner nahmen einen Soldaten gefangen, was als Entschuldigung für eine massive, seit langer Zeit vorbereitete Operation diente, deren Ziel die Zerstörung der palästinensischen Regierung ist.)

Erklärtes Ziel der Libanon-Operation ist es, Hisbollah aus der Grenzregion zu vertreiben, so dass es ihnen unmöglich gemacht wird, weitere Soldaten gefangenzunehmen und Raketen auf israelische Städte abzuschießen. Auch die Invasion des Gaza-Streifens hat das offizielle Ziel, Ashkelon und Sderot aus dem Aktionsradius der Qassams zu bekommen.

Das erinnert an die „Friedensoperation Galliläa“ von 1982. Damals wurde der Öffentlichkeit und der Knesset mitgeteilt, Ziel des Krieges sei es, „die Katyushas 40 Kilometer von der Grenze abzudrängen“.

Das war eine bewusste Lüge. Seit 11 Monaten vor dem Krieg war nicht eine einzige Katyusha-Rakete (noch ein einziger Schuss überhaupt) über die Grenze abgefeuert worden. Von Anfang an war es Ziel der Operation gewesen, Beirut zu erreichen und einen Quisling-Diktator zu installieren. Wie ich mehr als einmal erzählt habe, hat es mir Sharon selbst 9 Monate vor dem Krieg so mitgeteilt, und ich habe es damals pflichtgemäß, mit seinem Einverständnis (aber ohne die Quelle zu nennen), publiziert.

Natürlich hat die gegenwärige Operation auch verschiedene zweitrangige Ziele, zu denen die Befreiung von Gefangenen nicht gehört. Jeder weiss, dass das nicht mit militärischen Mitteln erreicht werden kann. Aber wahrscheinlich ist es möglich, einige der Tausende von Raketen zu zerstören, die die Hisbollah im Laufe der Jahre angesammelt hat. Für dieses Ziel sind die Armeebefehlshaber bereit, die Einwohner der israelischen Städte, die den Raketen ausgeliefert sind, in Gefahr zu bringen. Sie glauben, das sei es wert, wie ein Austausch von Schachfiguren.

Ein anderes Ziel besteht darin, die „Abschreckungskraft“ der Armee zu rehabilitieren. Das ist ein Codewort für die Wiederherstellung des verletzten Stolzes der Armee, der durch die kühnen militärischen Aktionen der Hamas im Süden und der Hisbollah im Norden einen ernsthaften Schlag bekommen hat.

Offiziell verlangt die israelische Regierung von der libanesischen die Entwaffnung der Hisbollah und ihre Entfernung aus der Grenzregion. Das ist unter dem gegenwärtigen libanesischen Regime, einem delikaten Gebilde aus ethno-religiösen Gemeinschaften, klar unmöglich. Der leichteste Schock kann die ganze Struktur zum Einsturz bringen und den Staat in totale Anarchie stürzen - besonders seitdem die USA damit Erfolg hatten, die syrische Armee, das einzige Element, das seit Jahren für etwas Stabilität gesorgt hat, dazu zu bringen, das Land zu verlassen.

Die Idee, einen Quisling im Libanon zu installieren, ist nicht neu. 1955 schlug David Ben-Gurion vor, einen „christlichen Offizier“ als Diktator einzusetzen. Moshe Sharet hat gezeigt, dass diese Idee auf einer vollständigen Ignoranz der Verhältnisse im Libanon basierte und hat sie torpediert. Trotzdem versuchte Ariel Sharon 27 Jahre später, sie wieder umzusetzen. Tatsächlich wurde Bashir Gemayel als Präsident eingesetzt, nur um kurz darauf ermordet zu werden. Sein Bruder Amin folgte ihm und unterzeichnete ein Friedensabkommen mit Israel, doch wurde er aus dem Amt gedrängt. (Derselbe Bruder unterstützt heute öffentlich die israelische Operation).

Die Rechnung sieht nun so aus: falls die israelische Luftwaffe die libanesische Bevölkerung mit ausreichend schweren Schlägen bedenkt - die See- und Flughäfen lahmlegt, die Infrastruktur zerstört, Wohngebiete bombardiert, die Autobahn zwischen Beirut und Damaskus abschneidet usw. - wird die Öffentlichkeit Wut auf die Hisbollah entwickeln und die libanesische Regierung dazu drängen, Israels Forderungen zu erfüllen. Da die gegenwärtige Regierung davon nicht einmal träumen kann, wird mit Unterstützung Israels eine Diktatur errichtet werden. Das ist militärische Logik. Ich habe meine Zweifel. Man kann davon ausgehen, dass die Libanesen so wie andere Völker in der Welt reagieren werden: mit Wut und Hass auf den Invasoren. Das geschah 1982, als die Schiiten im Süden Libanons, bis dahin sanft wie Schafe, gegen die israelischen Besatzer aufstanden und die Hisbollah schufen, die zur stärksten Kraft im Lande wurde. Wenn die libanesischen Eliten sich heute als Kollaboratoren Israels erweisen, werden sie von der Landkarte verschwinden. (Übrigens, haben die Qassams und Katyushas die israelische Bevölkerung dazu gebracht, auf unsere Regierung Druck auszuüben, aufzuhören? Ganz im Gegenteil.)

Die amerikanische Politik steckt voller Widersprüche. Präsident Bush will einen „Regimewechsel“ im Mittleren Osten, doch ist die libanesische Regierung erst vor kurzem unter amerikanischen Druck entstanden. In der Zwischenzeit hat Bush nur damit Erfolg gehabt, den Irak zu brechen und dort einen Bürgerkrieg zu verursachen (wie hier vorausgesagt wurde). Wenn er die israelische Armee nicht früh genug stoppt, wird er im Libanon das gleiche Resultat bekommen. Außerdem würde ein vernichtender Schlag gegen die Hisbollah nicht nur Wut im Iran hervorrufen, sondern ebenso unter den Schiiten im Irak, auf deren Unterstützung Bushs Pläne für ein pro-amerikanisches Regime beruhen.

Worin besteht also die Lösung? Die Hisbollah hat ihre Soldatenfangaktion nicht zufällig zu einem Zeitpunkt ausgeführt, an dem die Palästinenser nach Unterstützung schreien. Die palästinensische Sache ist in der gesamten arabischen Welt populär. Indem sie zeigt, dass sie ein Freund in der Not ist, wenn alle anderen Araber erschreckend versagen, hofft die Hisbollah auf ein Anwachsen ihrer Popularität. Wenn jetzt ein israelisch-palästinensisches Abkommen zustandegekommen wäre, wäre die Hisbollah nicht mehr als ein lokales libanesisches Phänomen, das für unsere Situation irrelevant wäre.

Weniger als 3 Monate nach ihrer Entstehung hat es die Olmert-Peretz-Regierung geschafft, Israel in einen Zwei-Fronten-Krieg zu verwickeln, dessen Ziele unrealistisch und dessen Resultate unvorhersehbar sind. Wenn Olmert hofft, als „Mister Macho-Macho“, als ein zweiter Sharon gelten zu können, wird er enttäuscht sein. Das gleiche gilt für die verzweifelten Versuche von Peretz, als „Mister Sicherheit“ ernstgenommen zu werden. Jeder weiß, dass diese Kampagne - sowohl in Gaza als auch im Libanon - von der Armee geplant und diktiert wurde. Der Mann, der jetzt die Entscheidungen in Israel trifft, ist Dan Halutz. Es ist kein Zufall, dass der Einsatz im Libanon der Luftwaffe übergeben wurde.

Die Öffentlichkeit zeigt keinen Enthusiasmus für den Krieg. Sie verhält sich resignierend, in stoischem Fatalismus, weil ihr gesagt wird, es gebe keine Alternative. Und wirklich, wer könnte dagegen sein? Wer möchte die „entführten Soldaten“ nicht befreien? Wer möchte nicht die Katyushas entfernen und die Abschreckung wiederherstellen? Kein Politiker wagt es, die Operation zu kritisieren (außer arabischen Abgeordneten, die von der jüdischen Öffentlichkeit ignoriert werden). In den Medien regieren die Generäle, und nicht nur die in Uniform. Es gibt kaum einen früheren General, der von den Medien nicht eingeladen wird, zu kommentieren, zu erklären und zu rechtfertigen - alle mit einer Stimme. (Zur Veranschaulichung: Der populärste Fernsehsender Israels lud mich zu einem Interview ein, nachdem sie gehört hatten, dass ich an einer Antikriegsdemonstration teilgenommen hätte. Ich war ziemlich überrascht. Aber nicht lange - eine Stunde vor der Sendung rief mich der Talkmaster an, entschuldigte sich und sagte, es hätte einen schrecklichen Fehler gegeben - sie wollten eigentlich Professor Shlomo Avineri, einen früheren Generaldirektor des Außenamtes, von dem erwartet werden kann, dass er jedwede Aktion der Regierung in erhabener akademischer Sprache rechtfertigt, eingeladen haben.)

"Inter arma silent Musae" - wenn die Waffen sprechen, verstummen die Musen. Oder eher: wenn die Gewehre brüllen, hört das Gehirn auf zu arbeiten. Nur ein kleiner Gedanke: als der Staat Israels inmitten eines grausamen Krieges gegründet wurde, wurde ein Plakat an die Wände geklebt: „Das ganze Land - eine Front! Das ganze Volk - eine Armee!“

58 Jahre sind vergangen, und der gleiche Slogan gilt noch wie damals. Was sagt das über Generationen von Staatsmännern und Generälen aus?

Quelle: Gush Shalom, 15.7.06

WARUM JETZT?

Ein weiterer Kommentar von Uri Avnery zur aktuellen Situation.

Was dachte sich Hassan Nasrallah, als er sich entschloss, die Grenze zu überqueren und die Guerilla-Aktion zu unternehmen, die den gegenwärtigen Hexensabbat entfacht hat? Warum tat er das? Und warum jetzt?

Jeder gibt zu, dass Nasrallah eine kluge Person ist. Er ist auch vorausschauend. Seit Jahren hat er ein großes Lager aller Arten von Raketen angelegt, um eine Balance des Terrors zu schaffen. Er wusste, die israelische Armee wartet nur auf eine Möglichkeit, um sie zu zerstören. Trotzdem führte er eine Provokation aus, die der israelischen Regierung den perfekten Vorwand lieferte, Libanon mit voller Zustimmung der ganzen Welt anzugreifen. Warum?

Möglicherweise wurde er vom Iran und von Syrien, die ihn mit Raketen ausgestattet haben, gebeten, etwas zu unternehmen, um den amerikanischen Druck von ihnen abzuwenden. Tatsächlich hat die plötzliche Krise die Aufmerksamkeit von den iranischen Nuklearanstrengungen abgelenkt, und offensichtlich hat sich Bushs Haltung zu Syrien ebenso verändert.

Doch ist Nasrallah weit davon entfernt, eine Marionette Irans oder Syriens zu sein. Er führt eine authentisch libanesische Bewegung und macht seine eigene Rechnung von Punkten „für“ und „wider“ auf. Wenn er vom Iran und/oder von Syrien gefragt worden wäre, etwas zu unternehmen - wofür es keinen Beweis gibt - und er gesehen hätte, dass es den Zielen seiner Bewegung zuwiderlaufen würde, hätte er es nicht getan.

Vielleicht handelte er aus Motiven heraus, die in inneren Angelegenheiten des Libanons begründet liegen. Das libanesische politische System wurde stabiler, und es wurde zusehends schwieriger, den militärischen Flügel der Hisbollah zu rechtfertigen. Ein neuer bewaffneter Zwischenfall hätte helfen können. (Solche Überlegungen sind uns nicht fremd, besonders vor Haushaltsdebatten.)

Aber dies alles erklärt nicht den Zeitpunkt. Alles in allem hätte Nasrallah einen Monat füher oder später, ein Jahr früher oder später handeln können. Es muss einen stärkeren Grund gegeben haben, der ihn überzeugt hat, solch ein Abenteuer genau zu diesem Zeitpunkt einzugehen. Und den gab es in der Tat: die Palästinenser. (...)

Vor fünfzig Jahren schrieb Gamal Abd-el Nasser, der neue ägyptische Führer, dass ein Held kommen müsse. Er entschied sich, selbst dieser Held zu sein. Für einige Jahre war er das Idol der arabischen Welt, Symbol der arabischen Einheit. Aber: Israel nutzte eine sich ergebende Möglichkeit und demütigte ihn im Sechs-Tage-Krieg.

Danach stieg der Stern Saddan Husseins am Firmament auf. Er wagte es, sich dem mächtigen Amerika zu widersetzen und Raketen auf Israel abzufeuern, und wurde der Held der arabischen Massen. Doch wurde er in entwürdigender Weise von den Amerikanern aufgestöbert, angespornt von Israel.

Vor einer Woche sah sich Nasrallah der gleichen Versuchung ausgesetzt. Die arabische Welt rief nach einem Helden, und er sagte: „Hier bin ich!“ Er forderte Israel, und indirekt die USA und den gesamten Westen, heraus. Er begann einen Angriff ohne Verbündete, wohl wissend, dass weder Syrien noch der Iran es riskieren könnten, ihm zu helfen.

Vielleicht ließ er sich gehen, wie Abd-el-Nasser und Saddam vor ihm. Vielleicht verschätzte er sich in Hinblick auf die Stärke der Gegenangriffe, die er erwarten konnte. Vielleicht glaubte er wirklich, die Israelis würden unter dem Gewicht seiner Raketen zusammenbrechen. (So wie die Israelis glaubten, ihre Angriffe würden die palästinensischen Menschen im Gaza und die Schiiten im Libanon besiegen.)

Eines ist klar: Nasrallah hätte diesen Teufelskreis der Gewalt nicht begonnen, hätten die Palästinenser nicht um Hilfe gerufen. Ob aus kühler Kalkulation heraus, aus ehrlicher moralischer Entrüstung, oder aus beidem - Nasrallah kam zur Rettung der bedrängten Palästinenser.

Quelle: Gush Shalom, 18.7.06

„JEMAND MUSS DAS SCHWEIGEN ALS ERSTER DURCHBRECHEN, UND DAS WERDE ICH SEIN“

Der Krieg im Libanon hat seinen ersten Kriegsdienstverweigerer hervorgebracht - Stabsoffizier Sergeant Itzik Shabbat, ein achtundzwanzigjähriger Fernsehproduzent aus Sderot. „Ich kenne Leute, die mich angreifen werden und fragen werden, wie ich mich weigern könnte an diesem Krieg teilzunehmen, während Qassams auf meine Heimatstadt fallen und Katyushas auf die Städte im Norden. Aber nur diese Form von Opposition wird dem gegenwärtigen Wahnsinn ein Ende bereiten und die falsche Stimmung erschüttern, die gesamte Heimatfront unterstütze diesen unnötigen Krieg. Jemand muss das Schweigen als erster durchbrechen, und das werde ich sein. Es ist eine Schande dass mein Mobilisierungsbefehl von einem anderen Mitbürger Sderots unterzeichnet wurde, von Verteidigungsminister Peretz.“

TAUSEND DEMONSTRANTEN FORDERN: BEENDET DEN MONSTRÖSEN KRIEG!

Etwa 1000 Protestierende schlossen sich am Sonntagabend (17. Juli) einer Demonstration in Tel Aviv gegen die IDF-Angriffe auf den Süden Libanons an. Die Polizei verhaftete drei von ihnen mit der Begründung, sie würden eine Deminstration ohne Erlaubnis abhalten.

Die Demonstranten riefen: „Olmert und Bush sind sich einig: Krieg und Besatzung!“ - „Beendet den monströsen Krieg!“ - „Nein zu den brutalen Bombardierungen!“ Außerdem warfen sie Verteidigungsminister Amir Peretz vor, Kinder zu ermorden: „Keine Angst, Peretz, wir sehen dich in Den Haag!“ (...)

Ebenfalls am Sonntag wurde eine Protestaktion von Frauen in der Nähe des Hauptbahnhofs von Haifa durchgeführt, wo vor einigen Stunden eine Rakete der Hisbollah eingeschlagen war und acht Menschen getötet hatte. Die Aktion wurde von einer neuen Gruppe von arabischen und jüdischen Frauen gegen den Krieg organisiert.

Übers. Bernd Büscher