Jg. XVI, Nr. 187 - 19. Dezember 2003

 

INTERNATIONALER STRAFGERICHTSHOF: SCHLUSS MIT DER STRAFLOSIGKEIT

von William Pace; New York

Während die Welt durch schreckliche Akte des Krieges und des Terrorismus zerrissen wird, sollten sich Regierungen, internationale Organisationen, die Zivilgesellschaft und die Opfer überall durch die außerordentliche Errungenschaft getröstet fühlen, die die Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofes (ISG) bedeutet. Während des letzten Jahres sind wir Zeuge von Nominierung und Wahl der 18 Richter des Gerichtes, seines Hauptanklägers und des Gerichtsschreibers geworden, und die Vertreter des Gerichts haben angefangen, die vor ihnen liegenden herausfordernden Aufgaben in Angriff zu nehmen.

Die Vereidigung des ISG-Gerichtsschreibers Bruno Cathala am 24. Juni markiert den Abschluß der Auswahl der höchsten Vertreter des neuen Weltgerichtshofes. Cathala leitete die Bemühungen zur Planung und Etablierung des ISG während seines ersten, „provisorischen“ Jahres. (...)

Am 16. Juni feierten wir die Vereidigung von Luis Moreno Ocampo, eines verdienten Rechtsanwalts, Strafverfolgers und Hochschullehrers, der aus einem Land mit einer wiederhergestellten Demokratie kommt, aus einer Nation, die schreckliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfahren musste - Verbrechen, die von seiner eigenen Regierung an seinem eigenen Volk begangen worden sind. Durch das Rom-Statut sind diese Verbrechen geächtet worden wie niemals zuvor.

Nachdem Moreno Ocampo jetzt das Büro des Strafverfolgers (Office of the Prosecutor = OTP) leitet, hat die Koalition wahrhaft eines ihrer Hauptziele realisiert: die Wahl eines unabhängigen und unparteiischen Strafverfolgers. Seit seiner Vereidigung hat Moreno Ocampo die Bearbeitung der über 500 dem Gerichtshof zugesandten Botschaften vorangetrieben und eine Politik der Beantwortung der wachsenden Zahl von Anfragen, die der ISG erwartet, entwickelt. (...)

Die Koalition wurde durch den beratenden und transparenten Ansatz des OTP sehr ermutigt. Die ersten Strategiepapiere und öffentlichen Verlautbarungen, die das OTP veröffentlicht hat, zeigen einen transparenten und prinzipienorientierten Ansatz, wie der ISG mit seinen Untersuchungen und Strafverfolgungen vorankommen und wie er die Prinzipien und Stärken des Rom-Statuts anwenden will, um internationale und nationale Zusammenarbeit dabei sicherzustellen, jene zur Verantwortung zu bringen, die die schlimmsten internationalen Verbrechen begangen haben.

Der ISG ist kein Allheilmittel gegen den Krieg. Er wird ebensowenig die Ungeheuer stoppen können, die die verabscheuungswürdigsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, wie nationale Gesetze und Gerichte in der Lage sind, Verbrechen wie Mord, Hass und Vergewaltigung abzuschaffen. Dennoch wird der ISG einen bedeutenden Beitrag bei der Suche nach Frieden und dem Voranbringen des Regimes des Rechts und der Demokratie leisten. Der Gerichtshof bildet den Eckstein eines fundamental gestärkten Systems internationalen Rechts, das von den meisten Demokratien der Welt schon ratifiziert wurde.

Für die Opfer der Verbrechen gegen die Menschlichkeit - in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - hat der Gerichtshof die größte Bedeutung. Das schreckliche Abschlachten zehntausender unschuldiger Zivilisten in den letzten sechzig Jahren bleibt vielleicht nicht ungesühnt, wenn der Strafverfolger, die Richter und das Gericht sie durch das Ende der Straflosigkeit ehren. Paradoxerweise wird der größte Verdienst des ISD, falls diese neue Institution erfolgreich sein sollte, von den Zigmillionen, die in diesem neuen Jahrhundert aufgrund dessen nicht schändlich sterben, nicht „anerkannt“ werden. (...)

Am 17. Juli 2003 feierte die Koalition den „Welttag für internationale Gerechtigkeit“ in Anerkennung der Hoffnungen, die die Zivilgesellschaft auf die Globalisierung der internationalen Gerechtigkeit setzt. In den fünf Jahren nach der Annahme des Rom-Statuts hat fast die Hälfte der Nationen der Welt den Vertrag ratifiziert; sie repräsentiet damit eine Revolution in der politischen, moralischen und juristischen Einstellung gegen den Krieg und gegen jene, die massenhafte Greueltaten verüben. Die Verbindung von Frieden und individueller Gerechtigkeit könnte das Ende der Straffreiheit bedeuten.

Natürlich gibt es Staaten, die weiterhin Bedenken gegenüber dem Gerichtshof haben. Außer bei autoritären oder vom Militär dominierten Ländern besteht unsere Erfahrung bei der Werbung für den ISG in der ganzen Welt darin, daß Regierungsvertreter und Parlamentarier ihre Bedenken in Unterstützung umwandeln, wenn sie mehr über das Rom-Statut und die Arbeitsweise des Gerichts erfahren. Dennoch wird nichts wichtiger sein als die Art und Weise, in der der ISG mit seinen ersten Verfahren und Verfolgungen in den nächsten drei oder fünf Jahren umgehen wird.

Die Koalition ist den Regierungen gegenüber, die im Juni 2003 im UN-Sicherheitsrat, als die US-Regierung die Erneuerung der Resolution 1422 forderte, das Rom-Statut und den ISG verteidigten, in tiefster Weise dankbar. Besondere Anerkennung verdient der Mut und die Führungsstärke von Prinz Zeid Ra‘ad Zeid Hussein in Hinblick auf sein Land und als Präsident der Versammlung der Mitgliedstaaten. Wir hoffen, daß sich im nächsten Jahr viele Regierungen Kanada, Jordanien, der Schweiz und Liechtenstein bei der Forderung nach einem offenen Treffen des Sicherheitsrates über die Erneuerung dieser prinzipienlosen Resolution anschließen werden. (...) Die Koalition möchte auch die Regierungen loben, die sich gegen den von den USA vorgeschlagenen Paragraphen gewandt haben, die den Friedensstreitkräften bei der UN-Mission in Liberien unnötige und ungesetzliche Immunität zusichern sollte. Die Koalition begrüßt die Bemerkungen von UN-Generalsekretät Kofi Annan, der die Bedeutung des ISG bestätigte und die Notwendigkeit der von den USA vorgeschlagenen Straffreiheitsklausel in Frage stellte.

Eine Menge Arbeit liegt vor uns um sicherzustellen, daß der ISG fair, effektiv und unabhängig ist, daß die Unterstützung für den Gerichtshof universal wird und daß Länder ihren Verpflichtungen unter dem Statut nachkommen. Wir müssen weiter daran arbeiten, den Wirkungsbereich des Gerichts auszudehnen. Obwohl das Rom-Statut den Nicht-Regierungs-Organisationen eine einzigartige Beratungsfunktion in diesem Prozeß zuweist, sind es die Länder und die Versammlung der Mitgliedstaaten, welche die „hohen Vertragsmächte“ darstellen und die Hauptverantwortung für Aufbau, Finanzierung und Erfolg dieser historischen Institution tragen. ICC-Monitor Herbst 2003, Übers.: B.Büscher

 

USA vs. STRAFGERICHTSBARKEIT (Forts.)

von Irune Aguirrezabal Quijera

Als Teil der Kampagne der USA, seine Bürger und Militärangestellten von der Rechtsprechung des ISG auszuschließen, hat sich die Bush-Administration an Länder in der ganzen Welt gewandt, um bilaterale Abkommen über Straffreiheit (Bilateral Impunity Agreements = BIAs) oder sogenannte „Artikel 98“-Abkommen abzuschließen. Diese Abkommen verbieten die Auslieferung einer großen Gruppe von Personen einschließlich gegenwärtiger oder früherer Regierungsbeamter, Militärpersonal, US-Angestellter (einschließlich Vertragspartner) und Einheimischer an den ISG. Diese Abkommen, die in einigen Fällen gegenseitig sind, umfassen keine Verpflichtung von Seiten der USA, nach diesen Personen zu fahnden und/oder sie zu verfolgen.

Obwohl diese von den USA vorgeschlagenen bilateralen Abkommen angeblich auf Artikel 98,2 des Rom-Statuts fußen, stellen sie tatsächlich eine klare Verletzung der Absichten der Vertragsparteien dar und gehen weit über Buchstaben und Geist dieses Artikels hinaus. Die Verfasser des Statuts hatten keine Situationen der Straffreiheit vor Augen, sondern wollten in Übereinstimmung mit dem Prinzip der Komplementarität ein System zur Beendigung der Straffreiheit bei schweren Verbrechen schaffen. Wie David Sheffer, früherer US-Botschafter für Kriegsverbrechen und ein Hauptverhandlungsführer bei der Planungskonferenz des Rom-Statuts, schrieb „bestand die ursprüngliche Absicht der Übereinkunft über Artikel 98 darin, sicherzustellen, daß Abkommen über den Status der Streitkräfte nicht gefährdet würden und daß Amerikaner in offizieller Mission speziell durch Abkommen, die den Begriffen des Artikels entsprechen, abgedeckt würden.“

Bis heute haben etwa 50 Länder mit den USA BIAs unterzeichnet, aber wenige von ihnen die Abkommen ratifiziert. Die meisten Staaten, die ein Abkommen abgeschlossen haben, haben das unter starkem Druck von Seiten der USA getan. In einigen Fällen wurden diese bilateralen Abkommen mit dem Schutzabkommen für Angehörige der US-Streitkräfte (American Servicemember‘s Protection Act = ASPA) verbunden, ein US-Gesetz, das den Abzug von US-Militärhilfe aus ISG-Mitgliedsstaaten, die kein BIA vor dem 1. Juli 2003 abgeschlossen haben, authorisiert. Von dieser Gesetzgebung, die auf Mitgliedstaaten des Rom-Statuts zielt, sind NATO-Mitglieder, nicht der NATO angehörende Alliierte (Ägypten, Jordanien, Israel, Australien, Argentinien, Neuseeland, die Republik Korea und Japan) sowie Taiwan speziell ausgenommen. Bestimmungen des ASPA erlauben es Präsident Bush auch, aus nationalem Sicherheitsinteresse der USA diesen Ländern Verzichtserklärungen auszustellen.

Dennoch hat die Bush-Administration skrupellose diplomatische Taktiken angewandt, die über die Bestimmungen von ASPA hinausgehen: die Bedrohung armer Länder in allen Regionen der Welt, ihre internationalen Verpflichtungen zu verletzen oder andernfalls lebenswichtige finanzielle und politische Unterstützung der USA zu verlieren. Es wird berichtet, daß Stephen Rademacher, US-Unterstaatssekretär, Ländern der Karibischen Gemeinschaft angedroht hat, Hilfsmaßnahmen aus dem „New Horizons“-Programm, das Gelder für Hurrikan-Hilfe, ländliche Zahnarztpraxen und Veterinärprogramme umfasst, zurückzuziehen. Nach Aussage eines höheren Beamten des nigerischen Außenministeriums haben die USA angedroht, kooperative Entwicklungsprogramme auszusetzen, sollte Niger kein BIA unterzeichnen. Der US-Botschafter auf den Bahamas, Richard Blankenship, hat öffentlich gewarnt, daß ein beträchtlicher Teil von Hilfsmaßnahmen einschließlich der Unterstützung bei der Pflasterung und Beleuchtung einer Flugbahn, zurückgehalten würden, falls die Bahamas nicht die US-Position gegenüber dem ISG unterstützen würden. Im Falle Bulgariens wurde der Verlust von militärischer Unterstützung mit der NATO-Mitgliedschaft verbunden. Der kroatische US-Botschafter Lawrence Rossin veröffentlichte sogar einen Brief in der Zagreber Presse, in dem gewarnt wurde, Kroatien würde 19 Millionen $ an Hilfe verlieren, wenn es kein Immunitätsabkommen unterzeichnen würde.

Trotz dieses immensen Drucks haben sich etliche Länder geweigert, ein BIA zu unterzeichnen, so daß die Bush-Administration am 1. Juli ihre Absicht bekanntgab, 35 Mitgliedstaaten damit zu drohen, die Militärhilfe zu streichen. Betroffene Programme umfassten die Finanzierung fremden Militärs oder internationale militärische Ausbildung und Training.

Am gleichen Tag veröffentlichte Präsident Bush ein Memorandum des Weißen Hauses, in dem 22 Staaten für unterschiedliche Zeiträume Verzichtserklärungen von ASPA gegeben wurden, um Ländern, die BIAS unterzeichnet haben, die Möglichkeit zu geben, die Abkommen im Parlament zu ratifizieren. Eine Anzahl erhielt Erklärungen über vier oder sechs Monate, eine ausgesuchte Gruppe für unbegrenzte Zeit.

Die Koalition applaudiert den Staaten, die sich geweigert haben, BIAs zu unterschreiben, und fordert sie auf, weiterhin die Integrität des Rom-Statuts und des internationalen Rechts aufrechtzuhalten. Nicht-Regierungs-Organisationen und Inter-Regierungs-Körperschaften haben diese Abkommen als ungesetzlich und als Verletzung des Rom-Statuts und des internationalen Rechts denunziert, weil sie Straffreiheit bei den schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlauben.

Die Europäische Union hat z.B. die Beschlüsse des Rates über allgemeine Angelegenheiten und „Leitprinzipien“ veröffentlicht, die besagen, die von den USA vorgeschlagenen Abkommen seien klar unvereinbar mit dem Rom-Statut sowie mit Verpflichtungen, die sich aus anderen internationalen Verträgen ergeben; und es wurden Eckpunkte gesetzt, die alle Vereinbarungen (einschließlich schon abgeschlossener Abkommen) respektieren sollten. Am 16. Juni 2003 verabschiedete der Rat der EU eine neue gemeinsame Position gegenüber dem ISG, die die EU-Mitgliedsstaaten aufforderte, den Abschluß von BIAs zu verhindern indem sie sich verpflichten, „weiterhin, wie angemessen, die Aufmerksamkeit von Drittstaaten auf die Ratsbeschlüsse vom 30. September 2002 über den ISG und die angefügten EU-Leitprinzipien in Hinsicht auf Vorschläge für Abkommen oder Arrangements bezüglich der Bedingungen für die Auslieferung von Personen an den Gerichtshof zu lenken.“ Am 25. Juni nahm die parlamentarische Versammlung des Europäischen Rates entsprechend Resolution 1336 - „Bedrohungen des Strafgerichtshofes“ - an, die die Abkommen als Verletzung des Rom-Statuts und des internationalen Rechts verurteilt und jene Staaten unterstützt, die sich dem US-Druck zur Unterzeichnung von BIAs widersetzt haben.

Die Karibische Gemeinschaft hat ebenfalls eine Stellungnahme über von den USA vorgeschlagenen Abkommen veröffentlicht, welches ihre „starke Unterstützung für die Prinzipien und Zwecke des ISG“ bekräftigt und das Verhalten der USA, den sechs Staaten der Karibischen Gemeinschaft, die Mitgliedsstaaten des ISG sind, militärische Unterstützung zurückzuhalten, verurteilt. Außerdem haben sich verschiedene Staaten öffentlich geweigert, BIAs zu unterzeichnen, so Brasilien, Kanada, Estland, Peru, Südafrika sowie Trinidad und Tobago.

Tatsächlich sind die USA mit ihrer aggressiven, rücksichtslosen und ungerechten Kampagne, die auf das Untergraben der Autorität und der Effektivität des ISG zielt, isoliert. Die Opfer und die Weltgemeinschaft sehen die USA als hegemoniale Supermacht, die sich weigert, das Regime des Rechts zu akzeptieren und doch ihre eigene Ordnung anderen Staaten und Bürgern aufzwingt. Die Absicht der USA, ein zweigliedriges Rechtssystem zu errichten, eines für den Rest der Welt und eines für US-Amerikaner, ist einfach unakzeptabel. Die USA können sich nicht über das Gesetz stellen. Michael J. Lennon legt in einem Artikel in „Foreign Affairs“ in der Mai/Juni-Ausgabe 2003 dar, daß James Madison beim Entwurf der Verfassung dem gleichen Dilemma gegenüberstand. „Die Frage war, warum die Mächtigen dem Gesetz gehorchen sollten. Madisons Antwort war, der Anreiz läge in der Einschätzung zukünftiger Umstände, in der zermürbenden Vorstellung, die Starken könnten eines Tages schwach werden und dann des Schutzes des Gesetzes bedürfen... Somit befindet sich Hegemonie in Spannung mit dem Prinzip der Gleichheit.“

ICC-Monitor Herbst 2003, Übers.: Bernd Büscher

Der US-Auslandsgeheimdienst CIA hat eingestanden, vor dem Irak-Krieg über keine genauen Informationen zum irakischen Waffenarsenal verfügt zu haben. Das Fehlen „spezifischer Informationen“ sei dem Weißen Haus jedoch im Herbst vergangenen Jahres in einem Bericht detailliert erläutert worden, schrieb der ehemalige CIA-Analytiker Stuart Cohen in einem am 29.11. veröffentlichten Artikel. (Tagesspiegel, 1.12.03)

Sie haben ihn

Das Erdloch war letzte Zuflucht für Saddam Hussein. Kein Zweifel: ihm wird ein aufwendiger Prozeß gemacht werden. Amerika wird behaupten, man sei wegen ihm in den Krieg gezogen. Saddam Hussein hat viel auf dem Kerbholz, kein Zweifel. Eigentlich ist nur erstaunlich, daß solche Staatsmänner, wie etwa auch Mobutu, jahrelang Immunität genossen und von den Großmächten aufgepäppelt wurden. Demokratie oder das Schicksal des irakischen Volkes war kein Thema. Die Frage, was denn im Irak an Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschah, wurde ganz lange Zeit überhaupt nicht gestellt, jedenfalls so lange nicht, wie SH sein Maß nicht überschritt. Der Überfall auf Kuwait 1991 war ein Schritt zuviel. Iran will ein internationales Straftribunal gegen Saddam Hussein fordern. Die USA werden sich darauf kaum einlassen, da ein nationales Tribunal im Irak unterhalb der Schwelle der internationalen Strafgerichtsbarkeit läge, die die USA ablehnen. Die Friedensbewegung wird wachsam bleiben und rechtzeitig Alarm schlagen müssen, wenn Großmachtpolitik aus Gründen der Staatsraison die Augen verschließt.

„Verfrühtes Weihnachten“ überschreibt der Karikaturist des britischen Guardian seine Zeichnung: Saddam in der Höhle, im Lichtschein der Scheinwerfer wird von den „Weisen aus dem Morgenland“, Tony Blair und Präsident Bush, mit „Unser Retter“ angebetet.

 

Völkerrecht – ein Weg zum Frieden

Interview mit Paul Lansu, Pax Christi International

Herr Lansu, das Leitmotiv des Weltfriedenstages 2004 lautet: „Das Völkerrecht: ein Weg zum Frieden“. Welche völkerrechtlichen Themen bearbeitet das Sekretariat von Pax Christi International?

Das Völkerrecht gehört zu den Eckpfeilern der weltweiten Arbeit von Pax Christi International. Wir weisen auf dessen Schwächen hin, insbesondere im Hinblick auf die Arbeit der Vereinten Nationen, deren Begrenzungen im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg offensichtlich wurden. Viele nationale Sektionen und Partner von Pax Christi International werden zum Weltfriedenstag in ihren jeweiligen Ländern Projekte zum Thema „Völkerrecht und Frieden“ durchführen.

Gemeinsam mit anderen Institutionen arbeiten wir auch auf eine allgemeine Verbindlichkeit der Menschenrechtsverträge und auf eine wirksamere Umsetzung derselben hin.

Der Irak-Krieg wurde als „Präventivkrieg“ deklariert ...

Wir stehen der manipulierten und verkürzt geführten Debatte, die zu diesem Krieg geführt hat, sehr kritisch gegenüber. Der Krieg, den die USA zusammen mit Großbritannien und ihren Alliierten im Irak geführt haben, wurde von der Friedensbewegung in den USA und in Europa sowie von den meisten religiösen Gruppen stark angefochten. Wie vom Heiligen Stuhl mehrfach betont wurde, war und ist ein Präventivkrieg gegen den Irak unrechtmäßig und unmoralisch. Er untergräbt die Bemühungen zur Förderung von internationaler Zusammenarbeit, zur Eindämmung des Waffenhandels und zur Abrüstung. Er gefährdet die Integrität des Völkerrechts und der internationalen Institutionen.

Kann der militärische Einmarsch ausländischer Truppen in ein anderes Land ethisch gerechtfertigt werden?

Nach christlicher Auffassung kann nur eine rechtmäßig eingesetzte Autorität das Recht haben, einen Krieg zu beginnen. So hat seit Unterzeichnung der UN-Charta im Juni 1945 allein der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Recht, militärische Maßnahmen zu ergreifen, es sei denn, ein souveräner Staat muss sich im Falle eines bewaffneten Angriffs selbst verteidigen. Doch auch für den Fall der Selbstverteidigung gibt es wie bei allen anderen Ausnahmen eindeutige Regeln. Alle Unterzeichnerstaaten sind an Artikel 2.4 der UN-Charta gebunden, der besagt, dass „alle Mitglieder in ihren internationalen Beziehungen jede [...] Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen“. In der UN-Charta, insbesondere in den Artikeln 2 und 51, wurde vereinbart, dass

Ein Präventivkrieg zwischen zwei Einzelstaaten ist gemäß der UN-Charta nicht erlaubt, ganz gleich, wie eindeutig die Beweise für einen potentiellen Gewaltakt auch sein mögen. Solange kein tatsächlicher Angriff erfolgt ist, „legen alle Mitglieder ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden“ (Artikel 2.3).

Pax Christi International ist der Ansicht, dass der Angriff auf den Irak unmoralisch und unrechtmäßig war und dass die von böswilligen Diktatoren und Terroristen ausgehenden Gefahren nur durch Ausräumung der eigentlichen Konfliktursachen beseitigt werden können. So ist es bedauerlich, dass die mächtigsten Staaten der Welt nach wie vor die Androhung und das Führen von Kriegen als vertretbares außenpolitisches Mittel betrachten und dabei gegen die ethischen Grundsätze der Vereinten Nationen und die Grundsätze der christlichen Soziallehre verstoßen. Der Weg zum Frieden führt nicht über den Krieg. Vielmehr bedarf es einer grundlegenden Veränderung der politischen Strukturen, die zu Ungerechtigkeit und Ausschluss führen. Und genau dafür sollte der Westen seine technischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Mittel einsetzen.

Welche aktuellen Herausforderungen sehen Sie für die internationale Friedensbewegung Pax Christi?

Eine der Hauptaufgaben von Pax Christi International und von Menschenrechtsschützern, insbesondere jenen, die sich für die Religionsfreiheit einsetzen, besteht darin, den Dialog zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Religionen zu fördern. Im Allgemeinen bekennen sich die Religionen zur Würde der menschlichen Person. Diese Überzeugung ist eng mit dem Bewusstsein und dem Verständnis verbunden, dass der Mensch nach dem Bild Gottes erschaffen wurde.

Im Hinblick auf das Völkerrecht gehört die Religionsfreiheit zu den grundlegendsten aller Freiheiten. Doch leider sind religiös motivierte Intoleranz, Konflikte und Diskriminierung weltweit nach wie vor Realität. Wir sind jetzt in einem multikulturellen Zeitalter angelangt, in dem unsere globale Zivilisation vom friedlichen Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und religiöser Traditionen abhängig ist, ebenbürtige Zivilisationen miteinander den Dialog suchen müssen.

Der interreligiöse Dialog stellt künftig eine besondere Herausforderung dar. In unserem Teil der Welt wissen wir nicht genug darüber, wie Europa, die USA und die gesamte westliche Welt z. B. in Asien wahrgenommen werden. Wenigen im Westen ist bewusst, dass viele Asiaten die westlichen Staaten immer noch als die alten Kolonialmächte ansehen, die christlich geprägt sind und zugleich die internationale Politik beherrschen.

Wie kann die Kirche sich noch stärker für den Weltfrieden engagieren?

Im Mittelpunkt sollten der interreligiöse Dialog und gemeinsame Initiativen stehen. Dabei sollten auch die Unterschiede zur Sprache kommen. Die Kommunikation zwischen Führern oder Vertretern religiöser Gemeinschaften spielt heute eine größere Rolle als je zuvor. In zahlreichen Konflikten rund um den Erdball haben sich Religionen als hinderlich erwiesen. Sie sind zwar nicht die Ursache von Konflikten, doch können sie den Nährboden für Teilung und Gewalt bilden. Der Dialog zwischen Religionsführern, die unmittelbar von einem Konflikt betroffen sind, ist äußerst wichtig, denn sie können im Bereich der Konfliktprävention, der Konfliktbearbeitung und der Konfliktnachsorge einen entscheidenden Beitrag leisten.

Pax Christi International wird auch weiterhin den Dialog und die Verständigung auf ökumenischer und interreligiöser Ebene fördern sowie die Suche nach einer Weisheit unterstützen, die weit über unsere eigenen religiösen Traditionen hinausgeht. Wir werden ebenfalls weiter auf die Rufe der Unterdrückten hören und ganz im Sinne der Enzyklika Pacem in Terris mit allen Menschen guten Willens gemeinsam auf eine gerechtere und friedvollere Welt hinarbeiten.

Pax Christi ist eine kirchliche Bewegung, die sich der Friedensarbeit verschrieben hat und diese Arbeit nicht als eine mögliche Option unter anderen sondern als eine wesentliche Forderung des Evangeliums versteht, welches auf die Erneuerung des Lebens und die Errichtung des Reiches Gottes auf Erden ausgerichtet ist. Die Bewegung steht allen Frauen und Männern offen, die sich für den Frieden engagieren möchten. Papst Johannes Paul II. grüßte Pax Christi International vor einigen Jahren mit den Worten: „Bewegungen wie die Ihrige sind wertvoll. Sie tragen zur Bewusstseinsbildung bei und geben so der Gerechtigkeit eine Chance.“

Paul Lansu, M. A., Priester und Referent im Sekretariat von Pax Christi International, Brüssel. Die Fragen stellte Dr. Hartmut Köß, Bonn.

Aus einem SPIEGEL-ONLINE Interview mit Prof. Herfried Münkler am 12.9.03

SPIEGEL: Ist der Staat überhaupt noch der Akteur, der den "neuen Kriegen" wirksam begegnen kann?

Münkler: Pointiert gesagt müssen wir unsere Stabilität exportieren und die Welt wieder verstaatlichen. Die Länder, die reich sind, müssen dort, wo der Staat zerfallen ist, diesen wieder herstellen. Wie der Kosovo oder Afghanistan gezeigt haben, ist das aber sehr teuer und stößt auch an Grenzen. Die Alternative dazu ist eine imperiale, geschützte Wohlstandszone mit neuen Barbaren-Grenzen, jenseits derer Bürgerkriege stattfinden.

SPIEGEL: Sie meinen Grenzen, die die zivilisierte Welt von den Konfliktregionen trennen.

Münkler: An diesen neuen Barbaren-Grenzen ist der Krieg endemisch, so wie die Kosaken-Völker an den Grenzen Russlands den Krieg gegen die Steppenvölker permanent geführt haben. Oder nehmen Sie den Krieg im Wilden Westen - auf niedrigem Niveau geführt, nicht mit großen Kräften, aber mit ständigen Attacken. Jetzt brechen halt nicht mehr schnelle Reiterverbände ein, sondern Terroristen. Das heißt also: Leb mit dem Krieg. Der Krieg führt sich selbst, er ist den Menschen aus den Händen geglitten.

SPIEGEL: Welche Rolle spielt Deutschland beim Managen der "neuen Kriege"?

Münkler: Deutschland ist schneller als gedacht bereit gewesen, vom Balkan bis zum Hindukusch einen Beitrag zum "Nation Building" zu leisten. Die Deutschen exportieren Stabilität mit erheblichem Aufwand und großen Risiken und treten auch als Verhandlungspartner auf.

SPIEGEL: Nation Building ist das eine - doch wie kann sich ein Staat vor der neuen Bedrohung schützen?

Münkler: Seitdem das Militär das Monopol auf den Krieg verloren hat, wird die Verteidigung von Geheimdienst, Armee und Polizei übernommen, oft in so genannten Special Forces. Die Geheimdienste bekommen neue Aufgaben, die Polizei geht gegen die Terroristen im eigenen Land vor, und das Militär versucht, im Vorfeld die Strukturen der Terroristen zu zerschlagen.

Friedensbewegung unterstützt Terror?

 

WIDERSTAND JA - ABER GEWALTFREI!

Bundessprecher Jürgen Grässlin, DFG-VK, am 12.12.03 in einer Presseerklärung zu Berichten über die Unterstützung irakischer Untergrundkämpfer durch die deutsche Friedensbewegung:

Die Friedensbewegung unterstütze den Terror, behauptet das Fernsehmagazin Panorama in seiner gestrigen Sendung. Als Beleg dafür dienten Personen, die in Deutschland Geld sammeln, um Waffenkäufe im Irak zu finanzieren und damit angeblich den militärischen Widerstand dort stärken wollen. Beispielhaft wurden Treffen und Sammelaktionen des "Heidelberger Forums gegen Militarismus und Krieg" gezeigt, dessen Mitglieder sinngemäß erklärten, Ziel ihrer Aktivitäten sei es, die US-amerikanischen Besatzer durch eine Stärkung des militärischen Widerstands aus dem Land zu vertreiben. Der Tod von US-Soldaten wurde dabei von einigen Interviewpartnern offen begrüßt.

"Wer Geld für Waffen sammelt und das Abschießen von Soldaten gutheißt, ist weder Pazifist noch Humanist und stellt sich damit selbst außerhalb der

Friedensbewegung", meint Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), in einer ersten Reaktion. Grässlin weiter: "Wollen wir unserer Zielvorstellung einer Welt ohne Waffen und Armeen nahe kommen, so müssen wir deren Einsatz in jeglicher Form konsequent ablehnen und die zivile Konfliktbearbeitung unterstützen".

Gerade deshalb sei die massive Kritik der Friedensbewegung an der US-Politik gegenüber dem Irak berechtigt, so der DFG-VK-Sprecher. Die Koalitionstruppen unter dem Kommando der USA hätten das Land in einem völkerrechtswidrigen Krieg besetzt und führten gezielte Tötungsaktionen gegen Untergrundkämpfer durch, bei denen der Tod unschuldiger Kinder, Frauen und Männer bewusst in Kauf genommen werde. Für Grässlin stellt diese Vorgehensweise "einen barbarischen Akt dar, der durch nichts zu rechtfertigen ist".

Wer nun aber terroristische oder militärische Untergrundgrundkämpfer im Irak unterstützen wolle, wie dies laut Panorama einzelne Aktivisten vorhaben sollen, sei auf dem falschen Weg.

Es gehe vielmehr darum, die US-Besatzer mit politischen und diplomatischen Mitteln zu einem Rückzug aus dem Irak zu bewegen und das Land beim Aufbau demokratischer Strukturen in Staat und Gesellschaft zu unterstützen. Dies könne, so Grässlin, nur durch aktive zivile Aufbauhilfe geschehen, nicht durch Waffenlieferungen an dubiose Freischärlergruppen und Mörderbanden. "Die Friedensbewegung setzt ausschließlich auf Mittel der Gewaltfreiheit und der humanitären Hilfe", so der DFG-VK-Sprecher.

Die in der Panorama-Sendung vorgenommene Einschätzung "Der neue Terror findet Unterstützung - ausgerechnet in der deutschen Friedensbewegung spiegele nicht die Realität in der deutschen Friedensbewegung, stellt der Bundessprecher einer der größten Friedensorganisationen Deutschlands fest.

Grässlin fordert die Mitglieder des "Heidelberger Forums" zu einer offenen Diskussion auf und erklärt sich bereit, diese auf Wunsch auch öffentlich in Heidelberg zu führen.

Frank Brendle, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, DFG-VK, Velbert

 

Altlasten des Krieges

92 Staaten verabschieden Protokoll zur Zerstörung von alter Munition

Von Jan Dirk Herbermann, Genf

Granaten, Munition, Streubomben, die nicht explodiert sind: Krieg hinterlässt ein lebensgefährliches Erbe. Auch wenn wieder Friede herrscht, bedeuten diese stillen Killer für viele Menschen den Tod. Jetzt wollen 92 Staaten, darunter Deutschland, die militärischen Altlasten entschärfen. In Genf einigten sie sich am 28.11.03 im Rahmen der Vereinten Nationen auf eine völkerrechtliche Verpflichtung, diese Hinterlassenschaften des Krieges künftig zu räumen und zu zerstören.

„Das Protokoll über explosive Überreste aus Kriegen soll Leben retten“, sagte der Konferenzvorsitzende, Indiens Botschafter Raakesh Sood. Die genaue Zahl der Opfer solcher Überreste ist unbekannt, Experten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz schätzen aber, dass nach 1945 allein in Europa Zehntausende durch alte Kriegsmunition getötet worden sind. Jüngstes Beispiel ist der Kosovo: Nach dem Krieg starben dort fast 500 Menschen oder wurden verletzt. In Polen fanden Räumtrupps zwischen 1945 und 1981 rund 88 Millionen Waffenreste aus dem Zweiten Weltkrieg; fast 13 000 Menschen starben oder wurden verstümmelt.

„Das Protokoll behandelt dieses tödliche Problem erstmals auf internationaler Ebene“, lobte Louis Maresca, Jurist des Roten Kreuzes. Doch in einigen Punkten bleibt die Vereinbarung unklar. Sind angreifende Staaten nach dem Rückzug ihrer Armee in jedem Fall verpflichtet, bei der Räumung zu helfen? Oder ist nur der Staat zuständig, auf dessen Territorium der Konflikt ausgefochten wurde? „Da ist der Vertrag weder schwarz noch weiß“, räumte ein hochrangiger europäischer Diplomat ein. Nach Konflikten sollen die Vertragsstaaten künftig bei der Markierung und Räumung der Reste kooperieren. Aber: Eine Haftung des Staates, der die Munition verschießt, ist ausgeschlossen.

Nicht-Regierungsorganisationen wie die „Cluster Munition Coalition“ (CMC) geben sich besorgt, weil im Protokoll kein Zeitrahmen festgelegt ist: „Die Menschen in den Gebieten, wo die Erde mit Munitionsresten verseucht ist, brauchen die Hilfe jetzt und nicht erst in Jahren“, so Richard Lloyd von CMC. Auch die Kontrolle der Räumungen dürfte noch Kopfzerbrechen bereiten – bislang gibt es dafür noch keine feste Regelung. Das Protokoll, das als Ergänzung zum Anti-Landminenvertrag gilt, tritt in Kraft, sobald es 20 Staaten ratifiziert haben. 29.11.03 Tagesspiegel, Berlin

 

Versöhnung in Afrika

Wer soll sich mit wem versöhnen?

Ein Beitrag aus dem belgischen Versöhnungsbund zur Vorbereitung auf die Jahrestagung des deutschen Versöhnungsbundes zum Thema „Frieden in Zentralafrika, Okt. 2003

Lieber Leser, sie haben vielleicht von dem Völkermord in Ruanda gehört? Von dem von 1994. Dem zweiten nach dem an den Juden nach 1993.

Sie haben vielleicht zu irgendeiner Zeit im Jahr 1994, auf dem Bildschirm Ihres Fernsehgeräts, gesehen, wie Tausende von Menschen mit dem Buschmesser umgebracht und auf öffentlichen Plätzen ausgestellt wurden.

Oder aber waren Sie noch jung, oder anderweitig beschäftigt, und es ist das erstemal, daß Sie von diesem großen historischen Ereignis gehört haben, durch welches Ruanda auf der ganzen Welt bekannt wurde, und das der Grund dafür ist, daß zahlreiche Ruander sich heute in mehr Ländern der Welt befinden als vor 1994.

Ich möchte Ihre Neugier erregen, und Sie sollten nicht versäumen, wenn Sie demnächst bei Ihrem Buchhändler vorbeikommen oder im Internet recherchieren, eine riesige Dokumentation über dieses Ereignis aufzufinden...

Nehmen Sie sich ein wenig Zeit, und lesen Sie die Historiker und Politiker. Vergessen Sie nicht, auch Amateure zu lesen. Schauen Sie Theaterstücke an. Hören Sie Vorträge. Das ist ganz normal, diese umfassende Analyse eines Gegenstands von so großer Aktualität, über die Gründe für den Völkermord, über die Urheber der Völkermorde, über die Gerechtigkeit, über die internationalen Haftbefehle. Ganz normal, würden Sie sagen, wie in Nürnberg.

Dann, im einen oder anderen Augenblick Ihrer Begegnung mit dem Völkermord von Ruanda, werden Sie geneigt sein, sich auf gewisse Positionen festzulegen. Und von da an werden Sie Ihre neueren Lektüren über diesen Gegenstand auf Ihre Weise auslegen.

Zum Beispiel werden Sie finden, daß gewisse Redner besser die Wahrheit sagen als andere. Daß gewisse Schriftsteller die Wahrheit sagen, und daß andre sich bemühen, sie zu entstellen. Daß gewisse Theaterstücke so bewegend sind, daß sie nur die Wahrheit sagen können. Während andere so hart sind, daß sie nur von Böswilligen stammen können. Daß gewisse Politiker besser sind als andere. Vielleicht haben Sie schon, wie ich, gehört, daß es gewisse Analysen gibt, nach denen es dieser ruandische Präsident, der ermordet wurde, war, der alles geplant hätte! Bis zum Völkermord, vorbei am Absturz seines Flugzeugs (aber das sagt man nur ganz leise, selbst die Redner glauben nicht so recht daran!) Vielleicht, um eine These zu verteidigen, nach der es, wenn es um einen Völkermord geht, es einen Hitler gibt.... Auf jeden Fall werden Sie versucht sein, den Schuldigen und den Unschuldigen zu identifizieren.

Und wenn Sie ihn zufällig nicht unter den Ruandern finden, dann wenden sie sich an ... sich selbst! Aber da es seit der Entwicklung des Christentums keine Heiligkeit mehr gibt, die bis zum Heldentum geht, sprechen Sie eben von der internationalen Gemeinschaft.

Kurz, es bleiben drei Akteure auf der Szene, wenn wir von der Versöhnung in Afrika sprechen: die Afrikaner, die Afrikaner und die Großmächte, die allgemein bekannt sind unter dem Namen „internationale Gemeinschaft“.

Eine Versöhnung, die bei sich und mit sich selbst beginnt

Ich bin auf der Seite von Ruanda, denn das ist das Land, das ich am besten kenne, aber ich zweifle nicht daran, daß die Stammeskämpfe, die im Kongo, an der Elfenbeinküste und in vielen anderen afrikanischen Ländern und selbst in Nürnberg, wüten, anderer Art sind.

Ubutwari bwo Kubako oder der Lebensmut der Frauen der Gemeinde Karama in der Provinz Butare im Süden von Ruanda ist eine Erfahrung, die mehr als einen Sucher der Versöhnung in Afrika, besonders in Ruanda, angezogen hat. Europäische und amerikanische Soziologen gehen dorthin, um eine Erfahrung zu verstehen, die eine Bereicherung sein könnte.

Seit Juli 1994 (und nicht vorher) gibt es zwei Lager von feindlichen Frauen. Und der Grund: Die einen ....

...hatten die Männer der anderen einsperren lassen, weil sie ihnen vorwarfen, die ihrigen während des Völkermords getötet zu haben. Sie waren von ihren Hügeln, ihren Feldern, ihren Gütern, geflohen, während dem Völkermord und wagten nicht, dorthin zurückzukehren, sei es, aus Angst, sei es, weil ihre Häuser während des Völkermords verwüstet, manchmal auch zerstört wurden. Sie wohnten von da an in Klassenräumen, die zu dieser Zeit nicht mehr als Schule benutzt wurden, wo sie eng zusammengepfercht lebten, in einem Durcheinander, das sie vorher nicht gekannt hatten.

Die anderen ....

..... waren auf den Hügeln geblieben, die ihre Nachbarinnen verlassen hatten. Ihre Männer und ihre Kinder lebten noch, sie mußten jedoch von nun an alle häuslichen Aufgaben allein bewältigen, die sie vorher mit ihren Männern und Kindern geteilt hatten. Außerdem mußten sie ihren Männern oder ihren Kindern, die im Gefängnis von Karama eingesperrt waren, zwei Schritte von den Klassenräumen entfernt, wo ihre Feindinnen untergekommen waren, zu essen bringen. Sie waren wütend auf die, die ihre Männer hatten einsperren lassen.

Sie bezeugen den Schmerz, den sie erlebt haben:

„Wir waren zornig. Wir verjagten die Frauen und die Kinder, die kamen, um ihren im Gefängnis eingesperrten Männern oder Eltern Nahrung zu bringen. Wir warfen Steine nach ihnen. Wir sammelten viele Steine und baten unsere Kinder, uns dabei zu helfen, die anderen Frauen und Kinder zu verjagen. Einige von ihnen konnten durch die Bananenfelder entweichen, die das Gefängnis umgaben. Wir umzingelten sie aber und entdeckten schließlich ihre Schlupflöcher, die wir feindselig verteidigten...“.

 

Die Versöhnung unter Afrikanern

= Die Versöhnung zwischen AFRIKA und der internationalen Gemeinschaft

Damit die Leute sich versöhnen, müssen sie zuerst erkennen, daß sie sich gegenseitig verletzt haben, daß sie sich unrecht getan haben. Dann müssen sie ehrlich die Quelle ihres Konfliktes nennen und den Willen haben, ihre Konfliktvisionen umzuformen zu einer und derselben Vision, die ihren gemeinsamen Interessen dient.

Es gibt in Afrika ein Spiel mit dem Pseudonym „POLITIK“; richtig heißt es aber: DER BALLON IM WASSER. Die Spielregeln sind sehr einfach: Es ist ein mit Luft aufgeblasener Ballon. Man muß den Ballon mit aller Kraft unter Wasser halten. Und, raten Sie, wer die Spieler bezahlt? Nun ja, diese Mannschaften gehören sich ja nicht selbst. Und raten Sie, was geschieht, wenn sich gewisse Spieler entscheiden, nur nach ihrem Kopf zu handeln, wenn sie sich entschließen, ihr eigener Herr zu sein? Oder wenn es einen größeren Geldgeber gibt, dem es nicht gelingt, Spieler für seine Mannschaft zu bekommen, die auf dem Terrain ist? Offensichtlich heißen nicht alle Helden oder Verrückten Thomas Sankara von Burkina Faso. Es gibt auch Habyarimanas, Mobutus, die nicht freundlich, in der Stille verschwinden und nicht die Gewohnheit haben, sich mit potentiellen Ersatzkräften zusammenzutun. Dann, wenn diese gegeneinander ziehen, entsteht ein totales Chaos, denn es gibt keine Kraft mehr, den Ballon unter Wasser zu halten: er explodiert. Und, so stark, wie er unter Wasser gehalten worden ist, ist auch der Knall, wenn er platzt.

„IM GRUNDE HABEN WIR NIE ETWAS UNTEREINANDER GEHABT, WIR, DAS GEMEINE VOLK...“

Ich hatte das Privileg, Ubutwari bwo Kubaho zu treffen, oder den „Mut zum Leben“ der Frauen von Karama. Es waren 1.200 Frauen. Es war sieben Jahre nach den ersten Steinwürfen, den ersten „Jagden auf Frauen durch Frauen“ – (für die, die die Rhetorik lieben). Es gab keine zwei feindlichen Lager mehr. Vielmehr 78 Gruppen, die 1.200 Frauen aller verschiedenen (durcheinander geratenen) Ethnien sammelten. Sie strahlten alle trotz offensichtlicher Schwierigkeiten im täglichen Überleben. Ich habe selten Frauen gesehen, die so aufgeweckt sind, in einer ländlichen ruandischen Umgebung. Bei einer großen Konferenz hörte ich eine von ihnen energisch auf eine Frage antworten, die ihr ganz leise hinter den Kulissen von einem ....Journalisten ? gestellt wurde: „Was stellen Sie sich denn vor? Wir haben uns wegen niemand versöhnt! Wir haben beschlossen, zu leben.“ Daher der Name, den sie selbst gewählt haben: LE COURAGE DE VIVRE – DER MUT ZUM LEBEN (Übersetzung: Heidi Schimpf)

Wir wünschen allen Lesern frohe Weihnachten und ein friedvolles 2004!