Aus dem Tagebuch von Dialog International - September - November 2004

In diesem Tagebuch wird in lockerer Folge aus der alltäglichen Arbeit von Dialog International mit den Partnern im Kongo berichtet.
Das Tagebuch gibt eine persönliche Meinung wieder, auf keinen Fall die offizielle Meinung von Dialog International.

Samstag, 4. Dezember 2004

Der Flug hatte eine Stunde Verspätung, sodaß die Sonne schon über dem Viktoriasee untergegangen war. Die Ankunft in Frankfurt war dann am Samstagmorgen nicht nur ein Kälte- sondern auch ein Kulturschock. Was ist an Afrika so schön, daß man gar nicht mehr zurückkehren möchte? Sicherlich die Herzlichkeit, Geselligkeit, Freundlichkeit der Menschen. Menschen, die hart arbeiten müssen, um ihr Leben zu meistern. Auch in Europa müssen viele Menschen hart arbeiten, aber eigentlich nur, um den Reichtum zu verwalten. Afrika und speziell die afrikanische Frau arbeitet, um einen ganz anderen Reichtum Afrikas zu ernähren: die vielen Kinder. Ich erinnere mich an keine einzige Szene, bei der nicht auch immer viele viele Kinder dabei waren.

Wie wird ihre Zukunft sein? Werden auch ihre Kinder immer noch in zerlumpter Kleidung barfuß durch den Schlamm der Dörfer oder der Stadt Bukavu waten müssen? Oder wird der Kongo endlich eine Regierung finden, die aufrichtig und ohne Korruption den Wiederaufbau anpackt, die Beamten bezahlt, die öffentlichen Dienste zum Funktionieren bringt und die Menschen ermutigt, wieder an die Zukunft zu glauben, eine Zukunft, bei der Soldaten nicht mehr derart im Mittelpunkt der Probleme stehen wie heute. Jemand sagte unterwegs, Afrika habe im Prinzip eine große Zukunft. Wenn der Jugend Afrikas gelingt, Tradition und Moderne harmonisch zu verbinden – und es gibt immer wieder Zeichen, daß dies gelingen könnte - dann sieht das „alte Europa“ wirklich alt aus und dann verkehren sich manche Paradigmen. Europa liebt es Afrika zu vergessen, weil das afrikanische Weltbild ganz und gar nicht in das Weltbild „guter“ Bürgerlichkeit paßt. Wie sagt Wilhelm Mensching in seinem Buch „Ruanda – Eine Selbstdarstellung des Volkes in alten Überlieferungen“? (1987, Restexemplare noch über DI zu beziehen) „Ich ging nach Afrika, um zu lehren, belehrt kam ich zurück!“

Volià.

Und noch eine Nachbemerkung: Diese Eintragungen sind sehr persönlich. Ich habe das Engagement meines afrikanischen Partners David fast völlig ausgeklammert und dabei war dies doch ganz entscheidend für den Erfolg der Reise. Dialog International ist eine kongolesisch-deutsche Vereinigung. Somit sandten wir aus Deutschland einen Kongolesen und einen Deutschen. David sprach nicht nur Französisch, sondern auch Kisuaheli, konnte also mit allen Menschen kommunizieren. Sämtliche Bewohner des Kivu, bis ins letzte Dorf hinein, sind zweisprachig, sprechen ihre Lokalsprache und eben kisuaheli, die lingua franca Ostafrikas. Somit kamen wir nicht vor allem als Weiße zu den Partnern, sondern als Kongolesen und die wirklich wesentlichen Angelegenheiten konnte David im Sinne von Dialog International regeln, während ich für die „schönen“ Reden zuständig war. Vielleicht ist das ein Grund, warum viele „weiße“ Organisationen in Afrika eher enttäuschende Erfahrungen machen, Dialog International aber (fast) eine einheimische Organisation ist, mit einer Filiale in Deutschland. Wie überall fanden wir natürlich auch das eine oder andere Problem. Aber über eins waren wir uns völlig einig: Die Projektarbeit unserer Partner ist ganz ausgezeichnet. Oft wurde sehr viel mehr geleistet, als in den Projekten ursprünglich vorgesehen war. Und sehr viel mehr Menschen partizipieren an den eigentlich recht bescheidenen Hilfen, die wir geben können, als wir uns das bisher vorstellen konnten. Und die Hilfen sind eine wichtige Ermutigung – und das sollen sie auch sein. Wir können also ohne Umschweife sagen, daß in den letzten 12 Jahren unsere Kongohilfe im Kivu voll angekommen ist und ein Netzwerk von Partnergruppen geschaffen hat, die tief in der lokalen Bevölkerung verwurzelt sind und die z.T. führend in der regionalen Societé civile tätig sind. All dies macht Mut und wir sollten jetzt hier weitermachen. Natürlich ist klar, daß in anderen Regionen des Kongos die Situation oft noch viel schlimmer ist als im Kivu und Dialog International kann nicht immerzu Gruppen nur im Kivu unterstützen. Aber wir haben ja schon Kontakte in Bandundu und in Kinshasa. Das erste Projekt im Kwango begann in diesen Tagen mit der Ausbildung der Dorfgesundheitshelfer und weitere Projekte in Kinshasa sind in Vorbereitung.

Klar ist, daß die Menschen im Kongo jegliche Unterstützung verdienen. Klar ist auch, daß sie sehr fleißig sind. Aber ohne fremde Hilfe können sie in der gegenwärtigen Situation viele Probleme nicht lösen. Deshalb müssen wir gezielt die wichtigsten Projekte fördern, sodaß Inseln der Stabilität entstehen, wie man das vielleicht inzwischen schon von Luhwindja sagen kann.

Und noch etwas. Wir waren eigentlich zu dritt, weil Emeritha von Twese Hamwe auch die ganze Zeit in Bukavu war, um teilweise mit uns gemeinsam und teilweise alleine Gruppen zu besuchen. Sie war, da ist kein Zweifel, die gute Seele unseres Aufenthaltes, die schon viele Partner kannte und wohl nicht aushalten konnte, daß ich ohne ihren Schutz das erstemal meine Füße auf den Boden Afrikas setzte. Dabei war Emeritha gefährdeter als wir: Ich vergaß einzutragen, daß schon am zweiten Tag unseres Aufenthaltes, genau 15 Minuten nachdem wir nach Luhwindja abgefahren waren, wo Emeritha gerne mitgefahren wäre, um die Wiederaufforstung zu sehen und wir dies aus Sicherheitsgründen ablehnten, weil wir nicht wußten, wie eine ruandische Frau auf dem Land im Kivu geschützt wäre - also 15 Minuten später kamen Soldaten in unser Hotel, um Emeritha mitten in Bukavu zu verhaften. Unsere Freunde Descartes und Kajunju setzten sofort alle Hebel in Bewegung, um Emeritha wieder freizubekommen. Eine ruandische Frau wird also in Bukavu immer noch als Spionin angesehen und nur ihr belgischer Paß schützte sie vor weiterer Verfolgung. Maman Emeritha, wie sie liebevoll in den Gruppen genannt wird, reist seit über 10 Jahren regelmäßig zu den Twese Hamwe Gruppen nach Bukavu und Ruanda und überbringt immer wieder kleinere Hilfsmittel für Projekte. Diese kontinuierliche Arbeit hat auch mit ganz wenigen Mitteln ein Netzwerk geschaffen, das sich sehen lassen kann. In Europa ist Twese Hamwe eine belgisch-deutsche Vereinigung, die Pax Christi und dem Versöhnungsbund Belgien nahesteht. In Bukavu gehört Twese Hamwe zu den Partnern von Dialog International. Wen wundert’s - Dialog International Deutschland hat, wie langjährige Leser unserer Zeitschrift DER PAZIFIST wissen, 1994 Twese Hamwe mitbegründet. So war klar, daß sich Emeritha, sobald sie von unseren Reiseplänen hörte, zur selben Zeit ihre Reise buchte und dadurch mit uns in Bukavu sein konnte.

Freitag, 3. Dezember 2004

Mit dem ersten Sonnenstrahl gegen 6 Uhr morgens sind wir auf den Beinen. Die Hälfte der Geschenke, die wir in den verschiedenen Gruppen entgegennehmen durften, mußten wir in Bukavu lassen, weil sie einfach nicht mehr ins Gepäck paßten. Überhaupt diese Geschenke. Die größten kamen von den ärmsten Gruppen und zwar von Herzen. Unglaublich. Wie oft waren wir peinlich berührt, zumal wir alles, was wir an Geschenken mitgebracht hatten, bereits am ersten Tag verteilten und später nichts mehr für andere Gruppen hatten. Wenn aber Geben seliger als Nehmen ist, so waren unsere Gastgeber in den verschiedenen Gruppen seliger als wir. Zwei kunstvoll gearbeitete Wanderstöcke ließen wir in Bukavu, mit denen sich vor allem rutschige, feuchte Gebirgswege sicher überwinden lassen, einen großen Hut, mehrere Honigtöpfe, Früchte, Reis, Gemüse, Textilien...

Die Trommel von den Mamans UMOJA passte glücklicherweise in den Rucksack, auch einige Lederwaren von AJAP, viele Grußkarten von NSF und viele weitere kunstgewerbliche Artikel aus den Gruppen. Nicht alles waren Geschenke. Einiges hatten wir auch gekauft oder bekamen dies ausgehändigt, um in Deutschland zu testen, ob wir dies zugunsten der Gruppenarbeit verkaufen könnten, ob dies also in Deutschland eine Nachfrage hat. Für die Gruppen dort wäre natürlich ein regelmäßiger Verkauf in Deutschland eine immense Hilfe. Aber werden wir dies organisiert bekommen?

Dann besteigen wir das Auto bis zur nahen Grenze Ruzizi I, wo über den Ruzizifluß, der die Grenze bildet, eine Brücke nach Ruanda führt. Dort finden wir ein Taxi, das wir mit einer weiteren Person teilen und das uns bis zum Flughafen Kigali bringt in gut 6 Stunden schneller Fahrt auf den gut ausgebauten Straßen Ruandas, wieder tausend „Hügel“ rauf und runter. Unterwegs noch eine Reifenpanne und ein Stopp durch eine Polizeikontrolle. Der ruandische Fahrer zeigt seinen (Lastwagen)Führerschein und man moniert, daß er keinen Pkw-Führerschein dabei hat. Als ob ein Lastwagenfahrer keinen Pkw lenken könne! Doch die Polizisten wollten ja nur etwas bestimmtes. Das dauerte dann noch etwa 15 Minuten, bis diskret, zweihundert Meter vom Auto entfernt, ein paar Scheine den Besitzer wechselten. In Ruanda hat also auch sowas eine ganz andere Ordnung als im Kongo.

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Donnerstag, 2. Dezember 2004

Am Nachmittag kamen noch einmal Vertreter fast sämtlicher Gruppen, die wir besucht hatten, zu einem Abschlußgespräch. Hier berichtete ich vor allem über die Arbeit von Dialog International in Deutschland, über unsere Möglichkeiten und Grenzen. Es gab einen Austausch von Ideen und eine sehr herzliche Verabschiedung. Natürlich durfte auch das Gruppenphoto nicht fehlen und dann begann das Kofferpacken.

Mittwoch, 1. Dezember 2004

Der Kongo kennt keine Geldmünzen, nur Geldscheine und wenn Du Franc-Congolais hast und viel bezahlen mußt, dann benötigt man eine größere Tasche. Ein einziger Dollar sind schon ein guter Stapel Franc-Congolais-Scheine. Und was für Scheine! Man möchte sie gerne schnell wieder loswerden, damit sie einem nicht in der Tasche auseinanderfallen. Abgegriffene, verschmutzte Geldscheine, die sicherlich schon tausendfach den Besitzer gewechselt haben und seit einem Dutzend Jahren zirkulieren.

Die Zweitwährung im Kongo ist aber der Dollar. Praktisch überall kannst Du mit dem Dollar zahlen. Mit jedem Dollar? Nein. Erstens muß der Dollarschein blütendweiß sein, darf keinen Riß haben und muß noch eine bestimmte Seriennummer haben. Kommst Du mit einer anderen Seriennummer an, wird Dein Dollarschein nicht akzeptiert auch wenn Du 100 Dollar hast, was im Kongo sehr viel Geld ist. Doch nicht nur das. Niemand in Europa hat bisher darauf geachtet, daß die USA zwei verschiedene Arten von Dollarscheinen zirkulieren lassen. Auf der einen Serie findest Du große Köpfe, auf der anderen kleine Köpfe. So. Die kongolesischen Wechsler sind wählerisch. Sie akzeptieren nur die großköpfigen Dollarscheine, am besten frisch aus der Druckerpresse. Jetzt hatte ich die Tasche voll Dollars mit kleinen Köpfen und auch noch die falschen Seriennummern. Wer kommt denn auch auf solche Ideen? Was tun? Glücklicherweise gibt’s Geschäftsleute, die reisen und überall sonst in Afrika akzeptiert man natürlich gerne jeden Dollarschein, in Ruanda, Uganda, Tansania, Kenia... So waren diese Leute freundlicherweise bereit, meine Dollarscheine umzutauschen in den „Dollar congolaise“.

Am gestrigen Dienstag besuchten wir die Pax Christi-Gruppen in Bukavu. Pax Christi Köln hat seit etlichen Jahren eine „Jumelage“, eine Partnerschaft mit Pax Christi Bukavu und ganz im Sinne der Überlegung, daß ohne Brot kein Friede möglich ist, wurden eine ganze Reihe von humanitären Projekte unterstützt, u.a. auch mit Mikrokrediten. Wir fuhren am frühen Morgen in einen Vorort Bukavus und fanden dort zwei Baracken von höchstens zusammen 100 qm, eine mit drei Räumen mit jeweils einem winzigen Fenster, die andere mit vier oder fünf kleinen Räumen. Die Baracken waren für teures Geld angemietet und vollgestopft mit Schülern. Dicht gedrängt werden hier mindestens 200 Straßenkinder unterrichtet. Die Lichtverhältnisse sind prekär, wegen der winzigen Fenster. Mein erster Gedanke war, daß die Kinder villeicht alle Augenschäden davontragen, wenn sie auf ihre kleinen Tafeln schreiben müssen. An unserem Besuchstag arbeiteten sie mit Hochdruck an der Fertigstellung der Grußkarten aus Bananenblättern, die wir mit nach Deutschland nehmen sollten. Die kleineren Kinder, also die Mehrheit, übte mit einfachen Figuren, die größeren konnten schon die fertigen Karten produzieren. Sie hatten keinerlei Möglichkeit im Freien eine Pause zu haben und mußten bis zum Nachmittag in den Gebäuden ausharren. Die Lehrer arbeiteten für einen Hungerlohn von wenigen Dollar, denn niemand war da, der Schulgeld zahlte. Vielleicht sind die Grußkarten die einzige Einnahmequelle der ganzen Schule? Die Kinder bestaunten den Masungu. Auf jeden Fall hat hier Pax Christi eine wunderbare Aufgabe übernommen. Wenn irgendetwas nach Kräften gefördert werden sollte, dann die Schulausbildung dieser Kinder.

Danach besichtigten wir einige weitere Projekte, darunter eine Batikfärberei, Seifenproduktion. Dann zwei Gruppen in einem ganz anderen Stadtteil, der noch während der belgischen Kolonialzeit errichtet wurde und seitdem – sagen wir mal – abgewohnt wird. Und doch sind die Reihenhäuschen innendrin proper und sauber. In zwei benachbarten Häuschen arbeiten einige Dutzend Frauen vor allem mit Textilien Fleißige Hände nähen und stricken und produzieren für die lokalen Märkte. Diese jungen Frauen kommen ebenfalls von der Straße und manche hat ihr Kind dabei. Auch dies eine unterstützenswerte Arbeit.

Schließlich finden wir im Büro von NSF-Pax Christi, ADMR und Dialog International Bukavu noch zwei weitere Gruppen, die mit Strickmaschinen arbeiten bzw. andere Textilien nähen. Wir sitzen dann noch eine Weile zusammen und sprechen über die Struktur von Pax Christi. Uns werden Photos überreicht, auf denen PC-Mitglieder aus Bukavu eine kleine Friedensdemonstration durchführen. Außerdem hat Flavien von PC-Bukavu wieder ein sehr schönes Heft mit Comics zu Fragen der Konfliktlösung herausgegeben.

Schon am Morgen besuchten wir kurz das Büro der GTZ in Bukavu. Dort hörten wir von den Problemen, die Ruanda im Nordkivu verursacht habe. Am Abend sind alle etwas verunsichert und wir überlegen kurz, ob wir schon am nächsten Tag nach Ruanda ausreisen sollten, bevor evtl. die Grenzen geschlossen werden. Unsere Freunde gehen früh heim. In solchen Situationen weiß man nie, ob nicht vielleicht ein Ausgehverbot verhängt wird.

Ich war froh, einmal früh schlafen gehen zu können...

Der Mittwoch begrüßt uns nicht nur mit hellem Sonnenschein sondern auch mit einer Entspannung im Nordkivu. Von vorzeitiger Rückreise ist keine Rede mehr. Wir besuchen planmäßig Twese-Hamwe-Gruppen in Bukavu und auf dem Weg zur ersten Gruppe sehen wir sicherlich Zehntausende von Schülern, die zu einer Demonstration aus der ganzen Region nach Bukavu marschiert sind. Es wird gegen die Regierung demonstriert, die immer noch nicht regelmäßig die Lehrer bezahlt. Man fordert also ein Ende der Ausplünderung der Eltern und Bezahlung der Lehrer. Die Stimmung ist wirklich super. Den Schülern macht der Ausflug nach Bukavu sichtlich Spaß. Polizei oder Militär ist weit und breit nicht zu sehen. Alle Schüler versammeln sich auf dem Gelände der Kathedrale.

Wir dagegen fahren wieder weit raus aufs Land zu der ersten Gruppe, die in eine Ziegelbrennerei betreibt. Das heißt 17 Witwen haben sich zusammengetan, profitierten von unserem Mikrokreditprojekt und haben auf eigene Faust Land gepachtet, auf welchem für Ziegelbrennerei geeigneter Boden verfügbar ist. Sie erzielen dadurch einen Umsatz von 6.000 Dollar im Jahr und nach Abzug aller Kosten bleibt immer noch für jede Frau eine erkleckliche Summe übrig, mit der neue Investitionen getätigt, das Schulgeld der Kinder bezahlt und die eine oder andere Anschaffung getätigt werden kann. Kurz später sitzen wir in der Rundhütte der Gruppenleiterin und sehen, daß dort Tier und Mensch friedlich nebeneinander leben. In der Hütte steht ein verbesserter Ofen, der holzsparend ist. Bei dem häufigen Regenwetter läßt sich leider nicht draußen kochen. Wir halten wieder einige Begrüßungsreden und erfahren von der Gruppe, daß sie nicht mit allem zufrieden waren. Im Laufe des Tages bekommen wir die Probleme geklärt. Trotzdem kommen auf einmal die Frauen an und überreichen uns reichlich Geschenke. Sicherlich 6 oder 7 Plastiktüten mit den Früchten des Feldes sollen wir mitnehmen. Was nun. Wir sind ganz beschämt wieder. Aber dann kommt mir die rettende Idee. Ich sage, daß wir mit diesen Dingen am liebsten jetzt mit den Frauen ein Festessen haben würden. Aber leider hätten wir nicht genug Zeit und müßten weiterfahren zur nächsten Gruppe. Deshalb schlage ich vor, die Frauen möchten doch mit den Früchten jetzt selbst ohne uns ein Festessen zubereiten. Das war’s. Mit riesiger Begeisterung wurden die Tüten wieder zurückgenommen und man versprach uns, genau dies zu tun. Fröhlich verabschiedeten wir uns und fuhren zurück in die Innenstadt von Bukavu. Dort trafen wir noch mehrere andere TH-Gruppen, eine produzierte Textilien mit drei Nähmaschinen, in einer anderen Gruppe waren in einer Baracke von vielleicht 50 qm mehrere Frauengruppen untergebracht, die z.T. kunstgewerbliche Dinge herstellten und z.T. auch Witwen waren. Und in einem der winzigen Räume wurden mindestens 20 kleinere Kinder unterrichtet, die bisher ebenfalls keine Möglichkeit hatten, an einem Schulunterricht teilzunehmen. Dies war ein ganz neues Projekt, welches erst seit 4 Wochen lief. Und dann kamen die Kinder aus ihrem Stübchen in den größeren Raum nebenan und begannen wunderschön zu singen und fast jedes Kind gab dazwischen eine Solo-Einlage. Dabei wurde mir erzählt, daß die Kinder dabei ihr sehr persönliches Schicksal uns in einem Lied erzählten. Viele waren Waisenkinder, hatten schreckliche Kriegserlebnisse hinter sich. Ihre Eltern waren z.T. ermordet worden. All dies sangen sie mit eindrücklichen Melodien in der Kisuaheli-Sprache. Auch hier hielt ich natürlich eine Ansprache an die Kinder und anschließend wurde mir noch ein Kind vorgestellt, daß seit dem Junikrieg erblindet ist und während dieses Krieges Vater und Mutter verloren hat. Bisher gab’s keinerlei ärztliche Versorgung. Eine Frau der Gruppe hat sich des Kindes angenommen, fühlt sich aber überfordert und hätte gerne eine Hilfe, da sie ja auch für den Lebensunterhalt noch arbeiten muß. Wir wollen zumindest versuchen, für dieses Kind eine ärztliche Versorgung sicherzustellen.

Dieses Zentrum macht einen außerordentlich guten Eindruck und die Arbeit ist sicherlich unterstützenswert. Noch einige weitere Gruppen werden besucht. Eine davon versammelt vor allem vergewaltigte Frauen. Wir hörten ganz diskret das Zeugnis von zwei Frauen. Eine davon wurde unter den Augen ihrer eigenen Kinder von mehreren Soldaten hintereinander vergewaltigt. Während sie noch berichtete, brach sie in Tränen aus und ich nahm sie in die Arme und streichelte sie. Die Erinnerungen hatten sie überwältigt. Auch die andere Frau bezeugte ähnliche Erlebnisse und schluchzte. Wir waren sehr betroffen und fest entschieden, daß weitere Hilfsprogramme für diese vergewaltigten und geschändeten Frauen dringend nötig sind.

Dienstag, 30. November 2004

Mit den Tagebucheintragungen bin ich hoffnungslos zurückgeblieben.

Mitten in der Nacht werde ich in Uvira von einem ohrenbetäubenden Lärm geweckt. Stockdunkel. Hatte ich nicht vorhin den ersten Hahnenschrei gehört? Unmittelbar neben dem Hotel befindet sich die große Moschee von Uvira und es ist Freitagmorgen, 04.30 Uhr. Der Muezzin ruft, verstärkt durch Lautsprecher, zum Gebet. Uvira hat relativ viele Muslime. Tansania ist nicht weit. Dann ist Ruhe, aber nur für einen Moment. Jetzt plärrt der Chor der Moschee orientalische Melodien und dann scheint eine Predigt übertragen zu werden. Mindestens eine Stunde geht das so weiter. Ich bin Gott dankbar, nicht ständig neben einer Moschee leben zu müssen. An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken. Die Sonne geht auf, der Tag beginnt.

Nach dem Frühstück besichtigen wir einige der Gruppen, die an dem Projekt „Brot und Frieden“ teilnehmen. Oben in den Bergen zeigen uns Frauen ihre Schweineställe, andere ihre Ziegen, die sie als Mikrokredit bekamen. Dann kommen wir zu einer anderen Gruppe, die auch Schweine und Ziegen bekommen hat, aber auch eine Reismühle betreibt. Diese Mühle ist zu einem Segen für die Gruppe geworden, weil dadurch der geschälte Reis einen viel höheren Preis erzielt und der Abfall sogar noch an die Schweine verfüttert werden kann. Wir besichtigen auch das Pilotzentrum, wo eine ganze Reihe von Schweine für die Verteilung an Bedürftige vorbereitet werden. Und dann zeigt uns Matthew von CEFI, der übrigens auch an der Solarkonferenz in Düsseldorf im vorigen Jahr teilnehmen konnte, einige seiner Projekte: Zuallererst eine Schule für Behinderte: Blinde Kinder lernen die Braille-Schrift, taubstumme Kinder lernen sich mit den Fingern zu verständigen. Und das alles ohne irgendwelche Zuschüsse von außen in allerärmlichsten Verhältnissen.

Die Rückfahrt geht wieder an den vielen Straßensperren vorbei und war genauso abenteuerlich wie die Hinfahrt. Fast ein Dutzend Kontrollen durch Kindersoldaten bis Kamanyola und dann wieder einige kurz vor Bukavu. Und nicht zu vergessen, eine Kindersoldatenbarriere mitten im Gebirge. Sie wollten etwas von uns – und zogen schließlich glücklich und zufrieden mit einer leeren PET-Wasserflasche ab...

In Bukavu Regen. Wir kommen vom Gebirge und müssen innerhalb der Stadt einige hundert Meter runterfahren. Die Straße hat sich längst in eine Schlammrutschbahn verwandelt, genauso gefährlich wie Eisglätte im Winter in Europa. Die Sonne ist schon untergegangen. Keine Straßenbeleuchtung. Die Hütten beidseits der Straße liegen im Dunkel. Unzählige Menschen strömen uns im Regen entgegen auf dem Heimweg von der Stadt in ihre Hütten. Alle zu Fuß. Im Licht der Autoscheinwerfer weichen sie geschickt aus. Und am Straßenrand immer noch der „Abendmarkt“. In allen größeren Städten und Gemeinden findet sich ein „Abendmarkt“. Allereinfachste Verkaufsstände. Im Schein einer Kerze, einer Petroleumlampe oder vielleicht nur von einem Feuerzeuge und nicht selten ohne Lichtquelle wird an die vielen heimkehrenden Menschen das Nützlichste zum Lebensbedarf angeboten. Hier finden sich auch Frauen, die mit ihren Mikrokrediten Kleinhandel betreiben und täglich ein Einkommen von höchstens einem Dollar erwirtschaften – genug für eine Mahlzeit für die Kinder. Nicht selten, so höre ich, hängt eine ganze große Familie an einem winzigen Marktstand und ist auf die Einnahmen angewiesen. Übrigens ist der „Abendmarkt“ nur eine Variante. Märkte finden sich überall im Land, auch in den kleinsten Dörfern. Die Preise liegen keineswegs fest. Alles wird ausgehandelt. Die Kongolesen sind Marktwirtschaftler par excellence. Wenn Lumumba einst als Kommunist verschrien wurde, war dies üble Propaganda ohne Kenntnis der Realität im Land. Heute findet der Abendmarkt im strömenden Regen statt, unverdrossen, scheinbar....

Den Sonntag drauf fuhren wir nach Lwiro.

In Lwiro liegt ein wissenschaftliches Institut, in dem Biologen, Zoologen, Botaniker, Veterinärmediziner und ein paar wenige mehr ohne jede öffentliche Unterstützung unter allereinfachsten Bedingungen eine ausgezeichnete Forschungsarbeit leisten. Zum Beispiel wird eine ungefährliche Manioksorte gezüchtet, man hat herausgefunden, unter welchen Bedingungen Äpfel in den Tropen gedeihen oder auch Orangenbäume, die sonst eher in subtropischen Breiten wachsen. Die Zoologie hat zahlreiche elternlose Affenbabies in Pflege genommen, die zu geeigneter Zeit wieder in dem nahen Nationalpark ausgesetzt werden, darunter auch einige Schimpansenwinzlinge. Sämtliche Pflanzen des Kongo sind registriert und dokumentiert.

Vor allem hat uns aber ein kleines Stück Regenwald imponiert, der erst 1990 gepflanzt wurde und inzwischen bereits hohe, schattenspendende Bäume hat. Besonders interessant für die Botaniker war, daß sich seither in diesem kleinen Stück zahlreiche Pflanzen angesiedelt haben, die sonst nicht im Umkreis zu finden sind, deren Same aber offenbar noch im Boden schlummert. Uns war sofort klar, daß wir in Luhwindja schon in 10 Jahren eine solche Situation haben. Wiederaufforstung lohnt sich! Kein Zweifel.

Das Mittagessen fand in einem einst feudalen Gästehaus aus der Kolonialzeit statt, das einen imposanten Eindruck vom herrschaftlichen Leben der belgischen Herren gab. Heute dient dieses Haus als Restaurant, wo Besucher aus der Region gerne speisen. Und dies ist tatsächlich die einzige regelmäßige Einnahmequelle für das gesamte Institut. Die wenigen verbliebenen oder ausharrenden Wissenschaftler halten sich ansonsten durch gelegentliche Honorarzahlungen, die sie bekommen, über Wasser. Vom kongolesischen Staat sei das Institut, das sich pro forma in dessen Besitz befindet, längst „vergessen“ worden, schon seit vielen Jahren. Deshalb träumen die Mitarbeiter von Partnerschaften mit europäischen Instituten.

Auf der Rückfahrt machen wir in der Nähe des Flughafens von Bukavu einen Halt bei einem unscheinbaren Büro, in dem etwa ein Dutzend „moniteur juridique“, die vor einem Jahr von Dialog International Bukavu ausgebildet wurden, auf uns warteten. Nach den obligatorischen Begrüßungsreden kam im Gespräch heraus, daß ein Mitarbeiter des Büros bereits ein Meisterstück für die Zivilgesellschaft des Kivu abgegeben hat: In diesem Büro wurden die Informationen zusammengetragen, die hieb- und stichfest beweisen konnten, daß es keine kongolesische Beteiligung an dem Massaker an den kongolesischen Banyamulenge-Flüchtlingen in Burundi im Sommer d.J. gab. Seitdem sind sämtliche Beschuldigungen des Kongo in dieser Sache verstummt. UNO und westliche Regierungen haben die Gutachten studiert und akzeptiert.

Der Montag stand im Zeichen der Mamans UMOJA von Ciherano, ein Ort etwa 50 km westlich von Bukavu. Hier hat Anfang September unser Projekt für 350 mißhandelte, geplünderte und vergewaltigte Frauen begonnen. Wieder rumpelten wir mit einem Jeep hoch hinauf ins Gebirge, doch zunächst durch die Vororte Bukavus, die an den Berghängen kleben und von heftiger Erosion bedroht sind. Ich scheue mich, hier von Slums zu sprechen. Auch die ärmlichste Hütte strahlt eine Würde aus und ihre Bewohner, das ist mir immer wieder aufgefallen, sind fast immer sehr sauber und proper gekleidet. Bis zum Stadtrand müssen wir noch mehrere Militärkontrollen passieren, teilweise von Kindersoldaten und in der Regel müssen wieder ein paar Scheine im Wert von kaum 30-50 Eurocent rübergeschoben werden, damit sich der Schlagbaum öffnet. Sicherheit à la congolaise. Da der Staat die Soldaten kaum bezahlt, holen sie sich Geld von der Bevölkerung. Doch bald sind wir auf dem Land, etwas Wald, viele Bananen- und Maniokplantagen und nach einigen Zeit halten wir vor einem Gesundheitszentrum. In dieser Station wurde bereits eine Reihe von vergewaltigten Frauen der Mamans UMOJA behandelt. Im Vorraum warten etwa 15 Frauen und zahlreiche Kinder. Der Arzt zeigt uns sein spärlich und ärmlich ausgestattetes Zentrum. Für Aidstests hat er gerade noch 15 Stäbchen. Auch die übrigen Medikamente, die er verteilen kann, sind spärlich. Er kann pro Tag kaum mehr als 15-20 Menschen wirklich behandeln. Die Lage des Zentrums macht einen ziemlich trostlosen Eindruck und doch versuchen die wenigen Mitarbeiter den leidenden Menschen zu helfen und das beste daraus zu machen. Einige kleine Zeichen der Professionalität finden sich, z.B. ein kleines Labor, ein Mikroskop, die winzige Apotheke...

Kurz später werden wir in der Kirche von Mugogo von etwa 300 Mamans UMOJA empfangen: Erst ein Lied und ein Gebet und dann die Vorstellung der örtlichen Gruppen. Schließlich treten nacheinander etwa ein Dutzend Frauen nach vorne und berichten uns über ihre schrecklichen Erlebnisse. Einige zeigen uns an den Armen schlimmste physische Vernarbungen. Sie berichten, wie ihre Ehemänner gefoltert wurden. Zwei sagen, ihre Männer hätten seit den Vorgängen ihren Verstand verloren. Eine weitere Frau berichtet, ihr Mann sei verwirrt davongelaufen und sie habe ihn seitdem nicht mehr wiedergesehen. Die Vergewaltigungen fanden unter den Augen der Kinder statt. Und eine Frau wurde meist von einer ganzen Horde Soldaten hintereinander vergewaltigt. Mugogo und Ciherano stehen für schlimmste Kriegsverbrechen im Kongokrieg.

Wir fahren weiter und kommen in ein fruchtbares weites Tal. Soweit das Auge reicht Maniokfelder. Dann kommen wir zu einer Schule, wo bereits einige hundert Schüler in ihren blau-weißen Schuluniformen auf uns warten. Fast alle sind Waisenkinder. Was heißt Schule? Der Unterricht findet in einer Baracke oder einem Bretterverschlag statt, mit meist einem einzigen winzigen Fenster. Die Kinder sitzen dichtgedrängt und ihr Lehrer unterrichtet sie für einen Hungerlohn. Als wir kommen, beginnen die Kinder zu singen und einer ihrer Betreuer erzählt uns von ihrem Schicksal. Dann erzähle ich etwas von Deutschland und von unserer weiten Reise in den Kongo und daß Dialog International für Demokratie, Frieden und Entwicklung arbeitet. Ich muß noch viele Kinderhände schütteln und dann geht’s weiter ins Pfarrzentrum von Ciherano. Auch dort warten noch etwa 200-300 Frauen und wieder einige Reden. Doch nicht nur das. Die Mamans UMOJA haben einige Geschenke für uns vorbereitet: Früchte ihrer Felder und Honig aus eigenem Anbau. Eine traditionelle Trommel, ein Stock und ein breitkrämpiger Hut, beides Symbole für einen „Chef“. Ich bin ganz beschämt. Wir kamen mit leeren Händen und hier werden wir reich beschenkt. Aber ablehnen wäre eine Beleidigung. Wir bedanken uns höflich und begeben uns ins Pfarrzentrum zum Mittagessen. Das Projekt mit den Mamans UMOJA begann Anfang September. 350 vergewaltigte Frauen bekommen seitdem moralische, materielle, psychologische und medizinische Hilfen.

Montag, 29. November

Jetzt ist schon über eine Woche vergangen und ich war kaum in der Lage, die vielen Begegnungen und Eindrücke aufzuschreiben. Die Fahrt nach Uvira war ein kleines Abenteuer. Mit dem Jeep gings zunächst durch eine Hochgebirgslandschaft – Serpentinen hoch und runter. Als es runter ging hatte der Motor plötzlich kein Kühlwasser mehr. Ein Loch.... Der Fahrer wußte sich zu helfen und verklebte das Loch provisorisch mit einer Masse, die er der Bananenstaude entnahm. Wasser holten wir aus dem nahen Bach. Doch dann war uns doch die Weiterfahrt zu unsicher, zumal wir viel Zeit verloren hatten. Wir stoppten einen UNO-Jeep, der uns bis Kamanyola in der Ebene mitnahm. Dort hörten wir, daß uns unsere Freunde bereits an der Stelle erwarteten, wo die Straße von Bukavu auf die befestigte Straße nach Uvira traf. Sie hatten jedoch nicht damit gerechnet, daß wir ausgerechnet mit einem UNO-Jeep eintreffen würden. Glücklicherweise ist unser Partner Chef der Societé Civile von Uvira und überall in der Region gut bekannt. So hatten wir die Empfangsdelegation schnell gefunden und schon bald waren wir dankbar, daß sie uns bereits in Kamanyola abholten. Wir hatten auf dem Weg nach Uvira noch mindestens 10 Straßensperren von Kindersoldaten zu bewältigen, die, so wurde uns gesagt, nicht lange fackelten, wenn es Widerstand gab. Der Chef der Societé Civile indes war bekannt und öffnete uns manche Sperre, manchmal mit und manchmal auch ohne daß Geldscheine den Besitzer wechselten.

Auf halben Wege nach Uvira besuchten wir die erste Gruppe, die an unserem Projekt „Pain et Paix/Brot und Frieden“ mitwirkt und Reisfelder bewirtschaftet. Eine riesige Volksmenge wartete schon auf uns. Besonders die Kinder bestaunen den Masungu. „Ja“, so hörte ich, „jetzt weißt Du, wie es ist, wenn man als Schwarzer in Europa ist“. Doch anders als die Schwarzen in Europa, die wenig willkommen sind, hatte ich Hunderte von Hände zu schütteln. Dann gings in die Reisfelder – und alle zogen mit. - Reis, soweit das Auge reicht. Und das mit Hilfe von Dialog International. Sicherlich, es gab noch Probleme. Das Bewässerungssystem war durch den Krieg in einem völlig desolaten Zustand, sodaß nicht selten eine Überschwemmung eintritt. Der Schleusenwärter zeigte mir, wie er mit einfachsten Mitteln – Gesträuch, Astwerk – wenigstens etwas versucht, das Wasser zu kanalisieren. Dabei stand er barfuß tief im Wasser. Für Stiefel reichte das Geld nicht. Ich hätte ihm am liebsten meine Stiefel gegeben, aber sie waren nur ausgeliehen... Sämtliche Kinder übrigens barfuß und nicht selten nur in Lumpen gekleidet. Schon hier war klar, die Armut in Uvira ist größer als anderswo. Dann auf einem Fußballplatz ein paar obligatorische Reden per Megaphon. Als ich deutsch sprach, ging ein Raunen durch die Menge. Die Übersetzung war erst ins Französische, dann in die Lokalsprache. Schließlich bestiegen wir wieder unser Auto und wollten nach Uvira weiterfahren. Doch plötzlich war Militär da und hinderte uns abzufahren. Das Auto war zu einer Arrestzelle geworden...

Der lokale Kommandant der kongolesischen Armee war von seinen Vorgesetzten nicht über unseren Besuch informiert worden und fühlte sich hintergangen. Eineinhalb Stunden dauerten die Verhandlungen von J.F., Chef der Societé Civile Uvira mit mehrmaligen Telefonaten in die Kommandantur. Dabei fielen harte Worte wie „Sabotage“ gegenüber dem lokalen Kommandanten. Sein Vorgesetzter drohte ihn und seine Mannschaft schließlich in Untersuchungshaft zu setzen, was widerum J.F. verhinderte – und schließlich konnten wir die Fahrt fortsetzen.

Uvira besteht vor allem aus einer langen befestigten Straße voller Menschen, die zu Fuß unterwegs sind. Am Rand der Straße ein Minihändler neben dem anderen. Wir übernachten in einem kleinen Hotel, das ganz ordentlich ist und sind privat zum Abendessen eingeladen. Vorbei an Hütten und kleinen Backsteingebäuden, vielen Menschen, Hühnern und Ziegen gelangen wir bald ins Wohnzimmer des Gastgebers. Pünktlich um 6 Uhr ist es dunkel und der Raum wird durch zwei Petroleumlampen und eine Kerze beleuchtet.

Nach dem Essen die erste Sitzung mit unseren drei Partnerorganisationen in Uvira und Beratungen über laufende Projektanträge. Jede der Gruppen hat unterschiedliche Schwerpunkte. Die A.I.D. betreut Flüchtlingsfamilien und führt mit Unterstützung des BMZ das Projekt „Brot und Frieden“ durch. Die Witwengruppe GRAIFA möchte Friedensseminare organisieren und CEFI eine Wiederaufforstung. Die Beratungen betreffen formale Antragsmodalitäten, sind gut und konstruktiv. Kein Zweifel. In Uvira muß geholfen werden.

Mittwoch, 24. November 2004

Aus meinem Schlafzimmer in Luhwindja fällt mein Blick auf den Hinterhof. Kaum ist es hell um halb sechs morgens, beginnt dort reges Treiben. Auf einem Drei-Steine-Ofen bereiten die Frauen das Essen vor. Wasser muß in Kanistern zu Fuß ca. 1 km weit geholt werden. Jeder Tropfen Wasser, den ich benutze, hat also jemand herbeigeschleppt. Plötzlich bekommt Wasser eine ganz andere Qualität. Eine halbe Waschschüssel reicht für die Morgentoilette und bei der Vorstellung, daß warmes Waschwasser über dem Drei-Steine-Ofen erwärmt wurde, verzichte ich auf diesen Luxus. Auch das Holz für den Ofen wird von Frauen und Kindern gebracht. Die Holzpäckchen werden meist auf dem Kopf getragen.

Nach dem Frühstück brechen wir auf nach Burhinyi. Luhwindja liegt im Tal, Burhinyi noch einmal ein paar hundert Meter höher auf einer Ebene. Die Straße führt vorbei an einigen der schlimmsten Umweltsünden Luhwindjas: Gierige Goldsucher haben rücksichtslos jeden Zentimeter Erde gesiebt und Regen und der Fluß den Rest zu den Erosionsschäden hinzugefügt. Innocent sagt, diese Orte seien Massengräber, da viele Goldsucher mit dem Leben bezahlten, wenn das Erdreich über ihnen zusammenbreche. und niemand nach ihnen frage oder suche.

Dann geht’s nur noch bergauf in langen Serpentinen. Auf halbem Wege kommen uns zwei Baumschulgärtner aus Burhinyi auf ihren Fahrrädern entgegen. Sie waren der Spähtrupp, der auskundschaften sollte, wann endlich die Delegation aus Deutschland eintrifft, die ungeduldig erwartet wird. Kurz später empfängt uns Jean, der Projektleiter, der uns mit einigen Dutzend Frauen und Männern auf dem Weg aus Luhwindja entgegengeeilt ist. Gemeinsam kommen wir in Burhinyi an, wo praktisch die gesamte Bevölkerung auf den Beinen ist, um uns zu begrüßen. Wir müssen Hunderte von Händen schütteln und werden dann vom Mwami (traditioneller König der Grafschaft Burhinyi) in einer kurzen Ansprache begrüßt, der seine Freude und Dankbarkeit über den Beginn des Wiederaufforstungsprojekts in Burhinyi zum Ausdruck bringt. Auch wir begrüßen die Bevölkerung in einer Rede und erzählen, daß wir im jetzt winterlichen Deutschland von den Problemen Burhinyis gehört hätten und davon, wie sehr die Bevölkerung des Gebiets unter dem Krieg gelitten habe (die Bewohner mußten zweimal komplett fliehen, während ihre Hütten geplündert und in Brand gesteckt wurden. Die meisten hatten in Luhwindja Unterschlupf gefunden, das im Tal eher verschont wurde). Wir wünschten der Bevölkerung, daß in wenigen Jahren auch in Burhinyi die Berghänge wieder genauso grün sein würden, wie inzwischen jene von Luhwindja.

Danach besichtigen wir eine der Baumschulen am Dorfrand und eine Pflanzstätte, die bereits für das Einpflanzen in den nächsten Wochen vorbereitet ist,. indem Löcher für die jungen Bäume ausgehoben wurden. Anschließend sitzen wir im Büro unserer Partnerorganisation zusammen für ein Projektgespräch, bei dem auch Probleme angesprochen und dann einvernehmlich gelöst werden. Die Beratungen sind sehr konstruktiv und wir haben keinen Zweifel, daß hier mit einer engagierten Bevölkerung ein gutes Projekt entsteht. Der Unterschied zu Luhwindja ist der, daß dort in den letzten Jahren bei der Bevölkerung viel Überzeugungsarbeit geleistet werden mußte, während der Wunsch nach Wiederaufforstung in Burhinyi aus der Bevölkerung selbst kam.

Mittags gabs noch einen Empfang mit Essen beim katholischen Pfarrer von Burhinyi, der uns stolz seinen Garten zeigte, in dem nicht nur zu sehen ist, welche Pflanzenvielfalt in Burhinyi gedeiht, sondern, daß auch mediterrane und teilweise sogar mitteleuropäische Früchte in diesem Hochland gedeihen, die im tropischen Tiefland nicht mehr angepflanzt werden können. Während ein Gewitter aufzieht, verabschieden uns Hunderte winkende Hände und wir fahren über Luhwindja und Kaziba zurück nach Bukavu. Dabei gilt es, wieder 1.500 Meter Höhenunterschied über Serpentinenfeldwege zu überwinden, die nur mit Vierradantrieb zu bewältigen sind. Neben der Straße geht’s nicht selten weit über 100 Meter tief runter ins Tal. Uns begegnet kein einziges weiteres Auto, bis wir auf die Straße aus Uvira treffen.

Schon am Stadtrand von Bukavu, hoch über der Stadt, säumen winzige Marktstände die Straße. „Schau mal“, so wurde mir gesagt, „so verdienen auch die Mamans mit ihren Mikrokrediten etwas Geld, wenn sie Kleinhandel betreiben.“ Meist bietet jeder Händler ein oder zwei Produkte an, oft Früchte des Feldes, die frühmorgens im Korb auf dem Rücken oder auf dem Kopf kilometerweit herbeigeschleppt worden sind. Und wenn ein heftiger Tropenregen runterkommt, verwandelt sich die aufgeweichte, abschüssige Straße in eine riesige Rutschbahn und nichts geht mehr. Das passiert in der achtmonatigen Regenzeit mindestens einmal am Tag, gehört also zum Alltag. Die Kleinhändler(innen) stehen im Regen und haben ihr Angebot mit Plastikfolien abgedeckt.

Am meisten beeindrucken mich die unglaublichen Menschenmengen, die zu Fuß unterwegs sind und irgendwelche Lasten tragen, meist auf dem Kopf. Was man alles auf dem Kopf tragen kann! Unglaublich. Ich sah Menschen 2 qm große Bleche auf dem Kopf balancieren, ebenso wie 3 m lange Holzbalken, Wassereimer natürlich und Taschen, Körbe, Kisten, Bananenstauden (sieht übrigens sehr schön aus), Holzbündel, Möbelteile – eigentlich alles, was ein Mensch anderswo mit den Händen tragen würde. Und mit welcher Grazie der oder die Träger sich fortbewegen durch die Menschenmassen, ohne daß dauernd etwas runterfällt. Dies ist wirklich die hohe Kunst der Balance, die von Kindheit an geübt wird. Und wenn man diese ganze Gesellschaft betrachtet, die das Chaos organisieren muß, so stellt man fest, alles ist genauso ausbalanciert. Leben im Kongo ist wie ein Drahtseilakt. Wer runterfällt ist verloren. Aber genauso, wie die Menschen ihre Lasten auf dem Kopf tragen, benutzen sie ihren Kopf um zu überleben und balancieren ganz sicher auf dem Drahtseil und wer denoch mal hinfällt mit dem eleganten Kleid in den Matsch der Straße, lacht mit den anderen rundrum und steht wieder auf und geht weiter.

Überhaupt die Kleidung der Frauen: Ich habe noch nirgends Frauen so schön, elegant und farbenfroh gekleidet gesehen wie im Kongo. Und zwar auch die letzte Bäuerin auf dem Land. Natürlich, das Gewand war nicht mehr blitzsauber, wenn man von der Feldarbeit zurückkam und noch Holz gesammelt hatte oder Maniok und Bananen auf dem Kopf nach Hause trug. Aber die Kleidung gab dennoch einen Eindruck von der Würde und Eleganz der Menschen, die sie trugen. Dies ist wirklich bemerkenswert, weil im Dickicht der Großstädte des Nordens diese Würde und Eleganz z.B. bei Industriearbeitern oder Bürodamen verlorengegangen ist, bzw. nur noch äußerlich sichtbar im Parfümgeruch vernebelt wird. Eleganz ist aber offenbar ein innerer Wert, der am besten sichtbar zu sein scheint, wenn eine Frau mit einem Wasserkrug auf dem Kopf über einen Feldweg schreitet, in einer solchen Ausgeglichenheit und Sicherheit, die einen nur noch staunen macht.

Natürlich werden nicht alle Lasten auf dem Kopf getragen, sondern wo immer möglich Autos, Fahrräder oder Motorräder benutzt und das extensiv. Ich beschrieb bereits die Fahrt von Kigali nach Cyangugu im Sammeltaxi. Kongolesische Sammeltaxis machen noch einen drauf. Jeder scheint noch reinzupassen. Gepresst voll fahren die Toyota-Busse inklusive Gepäck über Stock und Stein. Das ist ein Gerumpel, das man sich in Europa einfach nicht vorstellen kann. Die Straßenverhältnisse sind einfach unbeschreiblich. Vielleicht noch ein klein wenig mit der Autobahn nach Berlin vor dem Fall der Mauer zu vergleichen, mit dem Unterschied, daß wir es hier mit Feldwegen zu tun haben, ohne jegliche Befestigung, die auf der Landkarte als „Nationalstraßen“ fungieren und entsprechend frequentiert sind. So die Straße nach Uvira, die weit über 1000 Meter Höhenunterschied zu bewältigen hat und wo Container transportiert werden, Tankwagen fahren, auf Lastwagen säckeweise Lebensmittel hoch aufgetürmt sind und obendrauf sitzen nochmal 10 oder 20 Menschen – auch wenn’s regnet. Somit ist die Fahrt im Sammeltaxi schon ein Luxus.

Dienstag, 23. November 2004

Gerhard schreibt: „Hier ein kurzer Bericht vom bisherigen Verlauf der Peer-Gynt-Aufführungen und wie's weitergeht.

Mein Eindruck: das Publikum und seine Reaktion auf unsere Angebote ist von Aufführung zu Aufführung völlig unterschiedlich. Am Donnerstag (Generalprobe) hatte ich den Eindruck, wir stünden in einem toten Winkel und würden gar nicht wahrgenommen. Freitag und Samstag lockte der Duft der Hefekrapfen Scharen von Leuten an; allerdings war das Interesse an unserem Informationsangebot gering. Am Sonntag sind wir nur ein Viertel der Krapfen losgeworden - allerdings gab es auch erst in der Pause welche. Dafür etwas mehr Interesse an Infos.

Die nächsten Aufführungstermine sind jetzt Mittwoch und Donnerstag (24. und 25.11.); die Zeiten jeweils: - Einlaß für die Gruppen zum Aufbau der Stände: ab 17:45 - Einlaß fürs Publikum ab 18:15 - Beginn der Vorstellung: 19 Uhr

Aufführungstermine im Dezember sind Sa, 11.12. / So, 12.12. / Fr, 17.12. / Di, 21.12. / Mi, 22.12.“

Montag, 22. November

Um 7 Uhr Frühstück: Brot, Butter, Marmelade, Milchkaffee. Wie zuhause. Draußen wartete schon unser Jeep mit Bosco, dem Fahrer. (Nicht „unser“ Bosco, andere heißen auch so.) Um halb acht schon saßen wir im Jeep und los ging’s nach Luhwindja. Doch erst einmal durch Bukavu.

Bukavu ist eine Stadt mit etlichen 100.000 Einwohnern und mit nur einer einzigen befestigten Straße. Die restlichen Straßen und Wege sind in einem unbeschreiblichen Zustand. Aber die meisten Menschen gehen eh zu Fuß. Und überall am Straßenrand winzige Marktstände, bei denen die Preise bei jedem Kauf einzeln ausgehandelt werden. Das Straßenbild, die Behausungen, die kleinen Geschäfte, besser Kioske in Bretterverschlägen, alles rundrum ist so verschieden von europäischen Verhältnissen, daß wir wirklich in einer anderen Welt angekommen sind: bunt und fröhlich, aber geprägt von Not und Mangel. Und dabei zeugt alles, aber auch wirklich alles auf dem Weg nach Luhwindja von einer überaus fleißigen Bevölkerung. Jedes Stück Land ist bebaut mit Mais, Maniok, Bananenstauden, Kartoffeln... Überall irgendwelche Kleinunternehmen. Und auf den Straßen Menschen, die Lasten in die Stadt tragen, auf die Märkte, in Rucksäcken aus geflochtenen Körben, auf dem Kopf, selten in der Hand.

Ein Volk in Bewegung.

Der Weg nach Luhwindja führt uns in eine Hochgebirgslandschaft. Luhwindja liegt 1.000 Meter höher als der Kivusee. Die Berge rundrum sind nochmal mindestens 1.000 Meter höher, also insgesamt wohl 3.000 Meter. Aber in alter Zeit waren alle Berge bis auf die Spitzen mit Wald bestanden – tropischer Regenwald. Heute ist fast alles abgeholzt. Die Berge sind kahl. Aber ein, zwei Dutzend Kilometer südlich von Luhwindja beginnt der Regenwald und erstreckt sich dann westlich weiter durch das gesamte Kongobecken bis nach Kisangani und Kinshasa, bis zum Atlantik einige 1000 Kilometer. Doch die Wasser von Luhwinda fließen noch nach Osten, in den Tanganjikasee.

Auf dem Weg nach Luhwindja passieren wir Kaziba und dann – endlich – sind wir nach etwa 4 Stunden Fahrt für vielleicht 60 km auf mit Schlaglöchern übersäten Straßen in Luhwindja. Gleich am Anfang treffen wir auf die erste Baumschule. Ein kleines Begrüßungskomitee mit den Baumschulgärtnern, Justin, dem Projektleiter und zahlreiche Kinder empfangen uns fröhlich. Nebenan finden wir die erste von 10 Baumschulen mit zahlreichen für die nächste Pflanzsaison vorbereiteten Pflänzchen. Eine Woche später geht die Pflanzung los, noch in der Regenzeit, damit alles gut anwächst. Dann gibt’s eine Bergbesteigung. Auf einer riesigen Fläche wächst schon im 4. Jahr ein Mischwald und hier und da Eukalyptus, ein Baum, der wegen seines hohen Wasserverbrauchs als eher schädlich angesehen wird. Eukalyptus steht da, wo die Erosion am schlimmsten ist: Damit das Regenwasser schnell aus dem Boden gezogen wird und nicht weitere Erosion verursacht. Wir haben auf dem Weg nach Bukavu in Ruanda unendlich viel Eukalyptus gesehen. Man scheint dort (und anderswo) nur mit Eukalyptus aufzuforsten...

In Luhwindja kommt dies nicht in Frage.

Beim Abstieg überrascht uns ein heftiger Tropenregen und ich sitze mit Emmanuel im Eingang einer traditionellen Hütte und warte auf ein Ende des Regens und alle wollen ein Photo von mir in dieser Position.

In Luhwindja wohnen wir im Gästehaus des Chefs. Als wir ankommen, ist bereits viel Volk versammelt. Wir sitzen zur Begrüßung eine Weile mit dem (traditionellen) Chef zusammen, der übrigens in Luhwindja ein junger aufgeklärter, gebildeter Mann ist, dessen überaus sympathische Frau uns nicht nur bekocht, sondern auch bei den Frauengruppen der ADMR mitmacht. Der Mwami (König) des Landkreises oder der Grafschaft Luhwindja ist vor wenigen Jahren in Lyon (Frankreich) ermordet worden. Nachfolger wird sein kleiner Sohn, der sich noch in Ausbildung befindet. Doch auch sein Vertreter wird mit größtem Respekt behandelt. Er hat eine wichtige Funktion in der Rechtsprechung und bei der Landverteilung. Nach einigen Begrüßungsreden begeben wir uns ins Nachbargebäude, wo bereits sehr viele Menschen von den Frauengruppen, die Mikrokredite bekamen und den Honoratoren (darunter 3 moniteur juridique, die von DIB ausgebildet worden sind) auf uns warten. Jetzt sind nochmal Begrüßungsreden fällig, doch zuvor nimmt Justin, der Leiter des Wiederaufforstungsprojektes die Gelegenheit wahr, um noch einmal eindrücklich die unterschiedlichen Baumarten zu beschreiben, die gepflanzt werden. Und als er sagt, daß bei Maesopsis und Calleandra schon in wenigen Jahren in der Nähe von Wohnungen Feuerholz geschnitten werden kann, ist die Begeisterung überschwenglich. Dieses Baumarten benötigen sogar solche Beschneidungen, um sich voll entfalten zu können.

Die Rede des Chefs trifft dann das Herz seines Volkes. Die Stimmung steigt. Ich sage etwas später, daß wir aus dem winterlichen Deutschland hierhergekommen seien, um endlich einmal mit eigenen Augen zu sehen, was wir in den letzten 10 Jahren unterstützt hätten und daß wir hofften, daß durch die verschiedenen Projekte die Bevölkerung sich allmählich selbst helfen könne. Dies sei besonders durch die Gründung einer Genossenschaft geplant. Nach den vielen Reden sind alle zu einem Essen eingeladen.

Luhwindja ist eine Hochgebirgslandschaft, nur mit dem Unterschied zu den Alpen, daß auch auf 3.000 Meter Höhe alles Land noch fruchtbar ist, ja sogar in dieser Höhe mediterrane Pflanzen gut gedeihen. Die Abhänge sind außerordentlich steil und folglich beim kleinsten unsachgemäßen Eingriff von Erosion gefährdet. Ein Regenguß schwemmt dann die Grasnarbe fort und tiefe Furchen entstehen im Erdreich. Jeder Regen schwemmt dann weiter die kaffeemehlartige Erde fort und in den Hängen klaffen dann erschreckende Wunden. Inzwischen sind jedoch an fast allen wichtigen von Erosion gefährdeten riesigen Hängen Bäume gepflanzt und beginnen schon in wenigen Jahren den Boden zu stabilisieren. Insgesamt 1.500 ha wurden in den letzten Jahren bepflanzt. Fast die gesamte Bevölkerung war engagiert. Und auch die Viehzüchter sind inzwischen zufrieden, wie wir uns überzeugen konnten, weil ihre Kühe gegen Insekten einmal pro Woche besprüht werden und somit die unsinnigen Buschfeuer ein Ende finden, welche bisher angefacht wurden, in der Hoffnung, die Insekten etwas dezimieren zu können.

Am schönsten ist ein Fußmarsch zu einer Baumschule in einem lauschigen Talgrund, mitten durch Bananenkulturen hindurch, an Feldern vorbei, die von überaus fleißigen Frauen bestellt werden. Und neben einem Fischteich dann die Baumschule. Auch hier ist alles vorbereitet für die nächste (und letzte) Pflanzsaison des Projektes, die in wenigen Tagen beginnt.

Unser Fachberater Innocent, ein Biologe, der uns die ganze Zeit begleitete, ist überaus zufrieden mit dem Fortgang des Projektes. Man hat nicht nur mindestens doppelt so viele Bäume gepflanzt als geplant war – und das in der kurzen Zeit von 3 Jahren, sondern diese Pflanzungen so gemischt, daß für jede unterschiedliche Flur die richtige Baumart ausgewählt wurde. Ist der Boden verarmt, so wurde eine phosphatproduzierende Baumart gepflanzt. Verarmte Böden erkennt man durch ihre rote Farbe. Nährstoffreiche Böden sind erdbraun. Muß der Boden verstärkt werden, so pflanzt man tiefwurzelnde Bäume. Innocent schwärmt, daß er in ganz Afrika von keinem solchen Projekt weiß. Auch die Aufforstungen in Kenia durch die Organisationen der neuen Friedensnobelpreisträgerin seien lange nicht so professionell wie jene in Luhwindja. Die Baumschulgärtner hätten praktisch alles ganz genau so durchgeführt, wie sie dies gelehrt bekommen hätten.

Dann kommen wir ins Namunana-Tal. Wo vor wenigen Jahren noch sumpfiges Gelände war – und wir sahen auf dem Weg von Bukavu nach Luhwindja viele solche Sümpfe – ist durch unser Drainageprojekt vor einigen Jahren wieder überaus fruchtbares Acker- und Gartenland entstanden und seitdem haben alle Menschen in Luhwindja genug zu essen. Angebaut wird Mais, Zuckerrohr, Maniok, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Saghor... sow eit das Auge reicht. Die Ufer des Namunana-Flusses, die vor 5 oder 6 Jahren frisch ausgehoben worden waren, um dem Fluß ein neues Bett zu geben, sind inzwischen völlig zugewachsen.

Mitten im Tal dann die größte Baumschule der ADMR mit Experimentierflächen, wo u.a. einige Fruchtbäume angepflanzt sind. Das Projekt der Drainage hat die lokale Bevölkerung mit eigenen Kräften realisiert und mit finanzieller Hilfe aus Deutschland und dies zahlt sich jetzt aus durch reiche Ernten. Überall sind Menschen unterwegs und ich habe noch nie so viele Hände schütteln müssen, wie während dieser zwei Tage in Luhwindja. „Jambo“ „Jambo sana“ (Swahili für Guten Tag und Antwort darauf) gehört inzwischen zu meinem Wortschatz.

Sonntag, 21. November 2004

Flug nach Addis Abeba. Die Sonne beginnt unterzugehen, nachdem wir die Alpen überflogen hatten. Unten flackern die Lichter der italienischen Adriastädte, später von den westlichen griechischen Inseln. Dort liegt Kreta. Dann kommen die – ganz anders beleuchteten - ägyptischen Dörfer und Städte. Sie funkeln wie ein Traum aus 1001 Nacht. Doch danach wird es dunkel unten auf der Erde, nur ganz gelegentlich ist eine Lichtinsel zu sehen. Afrika ist nicht beleuchtet. Wenn’s abends dunkel wird, ist es auch dunkel....

Addis Abeba: Der Paßbeamte schiebt mir mein Dokument zurück: „You are welcome in Africa“.

Die Dame an der Infotheke:“You are welcome, hope you enjoy your stay in Africa.“

Und dann die Toilettenfrau: Wortlos verbeugt sie sich in voller Grazie vor mir. Ganz tief. Was soll ich sagen, was tun? Sie versteht ja meine Sprache nicht. So verbeuge ich mich genauso tief und wir lächeln uns an. Ihr Reich ist blitzblank.

Kigali: Während gerade draußen die Sonne aufgeht, gibt mir der Paßbeamte das Dokument zurück: You are welcome. Und das gleiche nochmal, etwas später, an der kongolesichen Grenze. Ja, ich bin wirklich willkommen. Ich denke an die vielen Afrikaner, die in Europa ganz andere Erfahrungen machen, die alles andere als willkommen sind, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - als Gäste kommen. Die in Abschiebehaft geraten, oder „Schwarze raus“ hören müssen.

Ja, ich war spürbar willkommen. Überall.

Am Flughafen Kigali habe ich die letzten Weißen gesehen. Jetzt bin ich absolute Minderheit. Alle auf der Straße schauen sich nach mir um. Die Kinder, die Alten und viele andere. Ein Weißer. Hier?

Am Flughafen holt uns Emeritha von Twese Hamwe ab und wir fahren direkt zu einer TH-Familie in die Slums am Rande der Stadt. Meine erste Begegnung mit Menschen, bei denen zwar täglich die Sonne scheint, die aber nicht auf der Sonnenseite des Lebens wohnen.

Kigali ist im Bauboom. An jeder Ecke eine Baustelle. Unglaublich. Wo nur das ganze Geld dafür herkommen mag?

Doch wo wir dann hinfahren ist keine Baustelle, oder besser gesagt, die letzte ist offenbar vor einiger Zeit unvollendet geblieben: Die Wasserversorgung. Die Leitung mit Zapfstelle liegt genau vor dem Haus der Gastgeber. Den Graben müssen wir über ein Brett überqueren. Und als wir im Wohnzimmer der kleinen Hütte sitzen, sehe ich, wie ohne Ende Frauen und Kinder kommen und gehen, Kanister und Eimer in den Händen oder auf dem Kopf und Wasser holen und dabei lautstark ihren Schwatz halten.

Die vollen Kanister werden auf dem Kopf heimwärts getragen. Wie gerne hätte ich die Situation photographiert, aber, als wir fragten, erlaubten die Kinder das nicht. Angst vor Spionen. Ein erster Eindruck von der Gespaltenheit der ruandischen Gesellschaft.

Gastfreundschaft im Armenviertel von Kigali: Ich darf alles sehen. Wo die Kinder schlafen, die Eltern, wo gekocht wird. Und das Wohnzimmer natürlich. Hier saßen wir. Der Vater ist Schreiner, mit nur gelegentlichen Aufträgen. Er Kongolese, sie Ruanderin. Die Kinder gehen auf die kongolesische Schule von Kigali. Und während der ganzen Zeit im Haus wartet der Taxifahrer mit unserem Gepäck vor der Tür an der Wasserstelle. Zwischendurch fährt er die Hausfrau zum Geldwechsel in die Stadt. Sorgen um unser Gepäck hat niemand. Ruanda hat wahrlich viele Probleme, aber die Menschen seien ehrlich geblieben, hören wir. Deshalb also funktionieren alle Dienste so gut – welch ein Kontrast zum Kongo. Ach ja, vor Mobutu sei das im Kongo auch so gewesen...

Später die Fahrt zur Abfahrtstelle der Sammeltaxis. Der Toyota für Cyangugu ist schon vollbesetzt. Aber drei weitere Gäste mit viel Gepäck lassen dem Fahrer keine Ruhe. Mit allen Insassen wird verhandelt und schließlich mit uns. Wir akzeptieren, für das Gepäck noch zwei Sitzplätze, also 5 insgesamt zu zahlen. Aber wie 5 Sitzplätze in einem vollen Toyota-Sammeltaxi von der Größe eines VW-Busses schaffen? Ich weiß nicht wie. Am Ende ist für alle Platz und wir sitzen wie die Heringe fast 6 Stunden lang gemeinsam in dem Toyota. 19 Personen plus 2 Babys, plus Gepäck, Der Weiße, ein Arzt, zwei Lehrer und ich weiß nicht wer noch. Nach kurzer Fahrt ist die Stimmung super unter den Fahrgästen, doch der Fahrer legt schon in Kigali ein Tempo an den Tag, das in Deutschland von der ersten bis zu letzten Minute die Polizei auf den Plan gerufen hätte.

Doch wir kommen gut an. Der Fahrer überzeugte. Kein Zweifel. Es ging bergauf, bergab: Wir sind im Land der 1000 Hügel. Dabei ist der Begriff „Hügel, Anhöhe“ („colline“) wahrlich eine Untertreibung. Wir haben es hier mit einem Gebirge zu tun, bei dem die deutschen Mittelgebirge klein aussehen. Unterwegs scheint halb Ruanda auf den Beinen zu sein. Fußgänger ohne Ende. Also, in Ruanda bleibt man sonntags wirklich nicht zu Hause sitzen.

Die Fahrt auf der gut ausgebauten Straße nimmt fast kein Ende. Sage nur nochmal jemand, Ruanda sei klein. Endlich Cyangugu. Die Grenze. Und schon auf der ruandischen Seite begrüßen uns alle Freunde von DIB und ADMR. Wirklich alle. Wenn noch ein Zweifel bestanden hätte, daß wir in Afrika nicht willkommen sind, dann wäre dieser jetzt ausgeräumt worden.

Und die Grenz- und Paßkontrollen? In wenigen Worten: Alle haben ihre Pflicht getan, sie haben – symbolisch – auch ins Gepäck geschaut und der kongolesische Gesundheitsdienst, eine Dame, die in einem unbeschreiblichen Bretterverschlag residierte, schaut die Impfpässe gewissenhaft durch und meint, bei der nächsten Einreise sollten wir uns doch bitteschön auch gegen Cholera impfen lassen... In der Zwischenzeit hatten die Freunde das gesamte Gepäck durch die Zollkontrolle geschleust im Gebäude nebenan. Auch dort werden wir überaus freundlich empfangen, im Kontrast zur durchaus erbärmlichen Umgebung. Welcome in the Congo – auf englisch.

Dann war alles vorüber und wir waren in Bukavu.

Kurz später sitzen wir in unserem Hotel, einem christlichen Hospiz, den Vertretern unserer Partnergruppen gegenüber. Emeritha, David und ich. Währenddessen geht draußen ein heftiger tropischer Regenguss nieder. Wir stellen uns vor und erzählen, erzählen. Dann gibt’s in einem Restaurant ein gemeinsames Abendessen. Und ich beginne von nun an für zwei Wochen Messer und Gabel beiseite zu legen und mit den Fingern zu essen, wie alle anderen auch. Nach dem obligatorischen Händewaschen – übrigens ein sehr angenehmes Ritual – ist das eine sehr angenehme Erfahrung

Samstag, 20. November 2004

Die Reisevorbereitungen sind getan. Nachher geht’s nach Frankfurt und von da über Addis-Abeba nach Kigali und dann ungefähr 7 Stunden mit einem Bus nach Bukavu. David und ich auf Projektbetreuungsreise zu unseren Partnern und Freunden in den Osten des Kongos. Ein bißchzen aufgeregt bin ich schon. Das erste mal nach so vielen Jahren und so vielen unterschiedlichen Projekten, die wir durchgeführt haben, ein persönlicher Augenschein! Was wird uns erwarten? Doch vorher war noch soviel zu besorgen – die Impfungen, die Überlegungen, welche Kleidung in den Tropen angemessen ist, ein paar Geschenke und vor allem mußte hier im Büro noch so viel erledigt werden, um einigermaßen beruhigt für zwei Wochen alles liegenzulassen. Natürlich wird das Büro stundenweise besetzt sein und das wichtigste wird von Gerhard und anderen erledigt. Vielleicht kommen also die nächsten Tagebucheintragungen aus Bukavu. Aber viel Zeit für das Internetcafé wird wahrscheinlich nicht übrigbleiben. Auf dem Programm stehen Luhwindja, Luhwindja und nochmal Luhwindja und dann Burhinyi, nebenan, wo die zweite Aufforstung kürzlich begonnen hat, anschließend Uvira und später noch ein Besuch bei den Mamans Umoja und einigen anderen Gruppen in der Region.

Über die Generalprobe von Peer Gynt im Düsseldorfer Schauspielhaus schreibt Gerhard diese Mail: „Hey, das war aber was anderes als gestern!Die Stimmung beim Publikum war wohl auch ein bißchen anders; aber vor allem der Duft von Beas Krapfen hat die Leute von nah & fern in unsere vorher so abgelegene Ecke gelockt. Krapfen von 3 kg Mehl - und schon kurz nach Beginn der großen Pause war alles ratzekahl weg!Die Bereitschaft, auch inhaltliche Informationen aufzunehmen oder Bücher zu kaufen, ist nicht so groß - die Leute haben schließlich gerade eine wunderbare, aber auch anstrengende Aufführung gesehn und wollen jetzt Pause haben. Aber es ist wohl schon etwas wert, daß wir auf diese Weise wahrgenommen werden.Auf die Premiere morgen dürfen wir gespannt sein.“

Freitag, 19. November 2004

In den nächsten Wochen wird Dialog International mit einigen anderen Düsseldorfer Eine-Welt-Gruppen Teil des Theaterstückes „Peer Gynt“ sein, welches am morgigen Samstag im Schauspielhaus seine Premiere hat. Gerhard war gestern abend bei der Generalprobe dabei und schreibt: Mit der Aufführung haben die sich ja wirklich was einfallen lassen.Jedoch hab ich den Eindruck, daß wir Eine-Welt-Gruppen dort nicht die großen Publikumserfolge erzielen werden.Zum einen ist das Stück lang, die Pausen kurz; daß sich die Zuschauer in dieser kurzen Zeit mit unserem inhaltlichen Angebot befassen, anstatt Pause zu haben, ist vielleicht nicht sehr realistisch.Hinzu kommt, daß die Ecke, in der Erika, wir und - noch weiter abseits - Klaus D. stehen, ein toter Winkel zu sein scheint; die Leute knubbeln sich eher in der Mitte oder an der Bar der Cateringfirma. Frau De Sch. (vom Schauspielhaus) sieht das auch und wäre vermutlich für Vorschläge offen, wie dieser Situation abzuhelfen wäre. Vielleicht wird der Krapfenduft (die von Kalé und Beja von Dialog International gebacken werden) ja die Volksmassen anlocken...“

Nun gut, wir werden sehen, wie gut oder schlecht die Präsentation ankommt. Die Premiere morgen ist jedenfalls schon ausverkauft – über 500 Zuschauer haben sich angesagt. Das Stück von Henrik Ibsen handelt davon, daß jemand um die halbe Welt reist und schließlich sein Geld als Waffenhändler macht. Das besondere besteht darin, daß das gesamte Schauspielhaus die Bühne ist, also das Publikum wird in das Theaterstück mit einbezogen und irgendwo ist noch ein Basar, auf dem Peer Gynt eine Rede hält und den Basar bilden eben die Stände der Eine Welt-Gruppen und deshalb können wir Krapfen backen. Gerhard, Beja und Kalé sowie Magda und Alexandra haben sich gründlich vorbereitet und werden in den nächsten Wochen abwechseln immer wieder im Schauspielhaus anzutreffen sein. In der Zeitung stand gestern schon in einer Vorankündigung, daß die Zuschauer gutes Schuhwerk mitbringen müßten, weil sie immer wieder wie eine Karawane durch das Schauspielhaus ziehen müßten...

Montag, 15. November 2004

Das Tagebuch vereinsamt etwas. Das steht irgendwie im Kontrast zu all dem, was hier los ist. Aber abends bist Du manchmal einfach zu müde, um nochmal etwas aufzuschreiben. Dabei ist die Sache mit dem fehlenden Stempel bei der Infopost nochmal glimpflich ausgegangen. Bisher gibt es keinen Bericht, daß jemand Nachporto zahlen mußte. Und unser Email-System funktioniert auch wieder einwandfrei – außer, daß die Emails mit Viren oder angeblichen Viren inzwischen zu einer richtigen Plage geworden sind und beim Empfang von Emails muß man wirklich sehr aufpassen. Manchmal trudeln am Tag mehr Virenemails (und Spam-Emails, also Reklame etc.) oder Emails von Leuten ein, die gerade mal irgendwo 25 Millionen Dollar unterbringen bzw. in Wirklichkeit anderen das Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Doch das soll heute nicht Thema sein.

Was ist hier in der letzten Woche gewesen? Anfang der Woche haben wir gewagt noch einmal einen Bericht über unsere Projekte und einen - sagen wir einmal - vorsichtigen Spendenappell an alle uns bekannten Adressen zu schicken in der Hoffnung, daß sich vielleicht der oder die eine oder andere entschließt, uns noch einmal vor Weihnachten zu unterstützen. Solche Unterstützung können wir jetzt wirklich gebrauchen, zumal noch das Kwangoprojekt finanziert werden muß und das Projekt für die vergewaltigten Frauen....

Und dann hatten wir letzte Woche für das Projekt „Schulen entdecken Solarenergie –für eine neue Partnerschaft mit NRW-Schulen“ zu einer Lehrerfortbildung in Zusammenarbeit mit dem Solar-Institut Jülich eingeladen, die ganz gut akzeptiert wurde. Rund 20 Lehrer aus ganz NRW waren gekommen, um sich über Solartechnik und Projekte der Entwicklungszusammenarbeit auszutauschen. Zwar gelang dieser Austausch irgendwie, aber wie so oft bei derartigen Veranstaltungen haben wir viel zu viel Zeit für die „Stoffvermittlung“ und zu wenig Zeit für das persönliche Gespräch gehabt. Trotzdem war das Seminar ein guter Erfolg und eine Ermutigung für künftige Vorhaben. Am schönsten war eigentlich das Engagement der Lehrer (vorwiegend Physik und andere Naturwissenschaften, aber auch Religion, Deutsch, Französisch....), die ganz deutlich nicht nur ihren „Job“ erledigten, sondern ein aufrichtiges Interesse an ihren Schülern, ihrer Schule, am verantwortungsbewußten Umgang mit der Umwelt und am ehrenamtlichen Engagement hatten. Sowas ist erfreulich und macht Mut.

Hier zurück im Büro mußte nun sehr schnell ein Antrag an die GTZ für einen Transportkostenzuschuß gestellt werden, weil unsere Mitglieder in Düren ganz viele Nähmaschinen und Computer für ein Projekt in Kinshasa gesammelt haben. Diese sollen so schnell wie möglich mit einem Container dorthin geschafft werden. Mit ein bißchen Glück gelingt uns vielleicht noch in diesem Jahr, die Bewilligung für diesen Transport zu bekommen. Wir haben vielen Menschen zu danken, die in den letzten Monaten Nähmaschinen, eine Strickmaschine, Waschmaschinen und dann Computer und Monitore gespendet haben. Die Nähmaschinen sollen Straßenkinder-Müttern in Kinshasa zugute kommen, welche durch eine Ausbildung im Nähen und Stricken von der Straße geholt und lernen sollen, für ihren eigenen Lebensunterhalt etwas verdienen zu können. Und die Computer sollen für ein Ausbildungszentrum sein und vielleicht kann auch ein Internet-Café zugunsten der Straßenkinder gegründet werden.

Und dann kam aus Bukavu die Nachricht, daß dort in der Nacht zum Samstag ins Büro von Dialog International eingebrochen worden war und alle drei Computer gestohlen wurden. Jetzt sind mit den Computern alle Daten verschwunden. Und daß, obwohl die Fenster zum Büro vergittert waren, also brachiale Gewalt angewandt werden mußte, um in die Büroräume einzudringen. Wir fragen uns, ob dies wirklich nur Räuber waren, die mit dem Gerät Geld machen wollen – oder ob irgendwie noch andere Kreise Interesse an den Daten auf den Computern von Dialog International Bukavu haben. Übrigens gehörte einer der Computer der Pax Christi Gruppe in Bukavu.

In Burhinyi hat in der letzten Woche das erste Seminar für die Pflanzgärtner und weitere Helfer der Wiederaufforstung stattgefunden, an dem über 40 Personen teilgenommen haben. Sie haben Techniken zur Erosionsbekämpfung gelernt, und erfahren, wie eine Baumschule geführt wird und wie die Böden fruchtbarer gemacht werden.

Auch aus dem Projekt für die vergewaltigten Frauen kommt eine gute Nachricht: Dort wurden neue –unabhängige - Gruppen gebildet für die betroffenen Frauen, in denen sie sich offenbaren können und zu den Mitgliedern sie Vertrauen haben können. Dann hat man erste Kontakte zu Krankenanstalten aufgenommen zur Behandlung von bedürftigen Frauen. Außerdem wurden 2.500 (Süß)Kartoffelpflanzen gekauft, weil vorherige Pflanzen von Insekten befallen waren...

Das Projekt geht also seinen Gang und kann den mißbrauchten und geschändeten Frauen hoffentlich eine gute Hilfe sein.

Freitag, 5. November 2004

Einige wirklich aufregende Tage liegen hinter uns. Am schlimmsten ist, daß die letzte Versendung von DER PAZIFIST per Infopost ohne den Stempel „Entgelt bezahlt“ rausging. Jetzt drohen sämtlichen Empfängern Nachgebühren, denn nirgendwo ist deutlich sichtbar, daß dies eine Infopost ist. Das ist ein – nun ja – ein Gau der Bürokratie und sehr unangenehm. Doch warum passierte dies?

Vorgestern abend wurde unsere Website zu einem neuen „Provider“ umgeschaltet, also einem neuen „Anbieter“, bei dem manches günstiger ist. Natürlich wußten wir dies, wir hatten das ja selbst beantragt. Wir dachten aber, daß wir zumindest etwas vorher von dem immerhin wichtigen Vorgang informiert würden, um dann in Ruhe den Umzug vornehmen zu können, wovon ja auch die Email-Adressen betroffen waren. Stattdessen wurden wir vor vollendete Tatsachen gestellt, die Website war plötzlich verschwunden und Email-Versender bekamen ihre Sendungen als unzustellbar zurück. Natürlich war die Aufregung groß. Immerhin gab es ein „Sammel-Email-Konto“, wo online doch noch einiges ankam. Dies während des gesamten gestrigen Tages zu beobachten, war allerdings recht umständlich. Und dabei passierte es, daß die Infopost mit dem PAZIFISTEN ungestempelt rausging. Wie peinlich. Was machen nun die Briefträger? Werden sie Sendungen, die eigentlich bezahlt sind, nochmal abkassieren? Heute morgen kam vom Postverteilzentrum die niederschmetternde Auskunft: Niemand hat das Malheur bemerkt, die Sendung ist in der Verteilung gelandet.....

Die Webseiten sind inzwischen umgezogen und die Emailadressen funktionieren auch wieder. Wenigsten dies Problem ist gelöst. Was ist aber mit den gespeicherten Emails unserer Partner in Afrika? Hoffentlich sind sie nicht alle verlorengegangen. Immerhin nutzt auch Dialog International Bukavu unser System, aber nicht via Outlook-Express sondern online. In einem Internet-Café gibt’s keine anderen Optionen und im Büro von Dialog International Bukavu ist ein Telefonanschluß und ein Internetanschluß derart teuer, daß wir noch nicht einmal an die Installation denken dürfen. Einzig das Internet-Café, das inzwischen in vielen kongolesischen Städten zu finden ist, gestattet gegen Dollars die elektronische Kommunikation mit dem Rest der Welt.

Doch es gibt auch eine gute Nachricht. Die kam schon vorgestern an. Das Entwicklungshilfeministerium hat unser Kwango-Projekt genehmigt. Und zwar erstaunlich schnell. Hier ist immer wieder über das Vorhaben im Kwango berichtet worden, einer Region südlich von Kinshasa, an der Grenze zu Angola, Dorfgesundheitshelfer auszubilden. Und genau das kann in den nächsten 15 Monaten passieren. 125 solcher „Primary Natural Care Health Worker“ sollen auf ihre Aufgaben vorbereitet werden, als Multiplikatoren Volksgesundheitspflege zu fördern, Naturheilkunde kennenzulernen, Heilgärten anzulegen, lokale Gesundheitsstationen zu beleben - die es auf dem Papier schon lange gibt - und traditionellen Heilern beizustehen, indem sie ihnen Bücherwissen beibringen, weil diese oft kaum Lesen und Schreiben können. Das Projekt ist ganz spannend, weil wir sehen wollen, ob das Konzept funktioniert – und wenn, dann möchten wir dies auch anderswo im Kongo realisieren. Überall sollten Dorfgesundheitshelfer ausgebildet werden, damit die Abhängigkeit von teurer Industriepharmazie geringer wird und bei einfachen Krankheiten Pflanzenmedizin angewandt werden kann, die viel viel billiger ist, weil die Pflanzen meist vor der Haustüre wachsen. Und - damit in den Tropen diese Heilkräuter auch haltbar gemacht werden können, lernen die Dorfgesundheitshelfer, wie man Sonnenkocher nach dem Modell ULOG baut, denn diese sind hervorragend für die Trocknung der Heilkräuter geeignet. Nur einen Wermutstropfen bringt das Projekt mit sich: Normalerweise werden die Projekte nach folgendem Schema finanziert: 75 % BMZ, 15 % lokaler Partner im Kongo durch Eigenleistung, z.B. Bautätigkeit, ehrenamtliche Arbeitsleistung usw. und 10 % Dialog International durch Spenden aus Deutschland. Bei einem Ausbildungsprogramm muß natürlich nicht viel gebaut werden. In der entlegenen Gegen des Kwango hatten wir dann als „Eigenleistung“ solche Tätigkeiten wie „Wasserholen“ und „Holzholen“, Anlegen von Heilkräutergärten, Tagegeld für lokale Mitarbeiter bei Projektreisen usw. einbringen wollen. Doch zu unserem großen Entsetzen wurde dies nicht akzeptiert. Ja, wenn wir Häuser gebaut hätten, wenn das Programm in Beton gegossen worden wäre, dann wäre dies anerkannt worden, aber „Wasser holen“, „Holz holen“? Bei einem Beamten in Bonn kommt das Wasser aus der Leitung. Die Mühen der Menschen im Kongo, die ihr tägliches Trinkwasser manchmal in einer Schüssel kilometerweit (auf dem Kopf) tragen müssen – nun ja, das wird jedenfalls nicht als Eigenleistung anerkannt. Ist das nicht selbstverständlich? Vor einigen Monaten waren wir deshalb noch recht zornig und haben heftig protestiert. Wenn wir aber den Protest fortgesetzt hätten, dann wäre diesem vielleicht irgendwann Erfolg beschieden gewesen - aber nicht jetzt. Deshalb haben wir vorerst akzeptiert, daß unsere Partner fast nichts selbst beitragen können und wir 25 % der Gesamtkosten durch Spenden aufbringen müssen, damit dieses gründlich vorbereitete Projekt nicht noch länger verzögert wird.

Damit soll die Diskussion mit dem BMZ aber nicht beendet sein. Das kann nicht das letzte Wort sein zu den lokalen Bemühungen unserer Partner.

Trotzdem freuen wir uns natürlich, daß dieses „Kwango-Projekt“ jetzt beginnen kann und vertrauen darauf, daß wir irgendwie genügend Spenden zusammenbekommen, um dies zu finanzieren, ohne daß andere Vorhaben zurückgestellt werden müssen....

Natürlich sind wir sehr sehr dankbar für jede kleine Spende, mit der unsere Kongoprojekte gefördert werden. Heute haben wir einen Bericht über die verschiedenen Projekte verfasst und werden in den nächsten Wochen bei allen uns bekannten Freunden anfragen, ob sie uns helfen können. Die Projekte unserer Partner überzeugen und immer wieder sind wir angenehm überrascht, was sie mit den eigentlich geringen Mitteln, die wir ihnen zur Verfügung stellen, alles anstellen. Ein Beispiel in Kürze: Vor einigen Wochen haben wir 1.000 Dollar (anstelle von 2.500) überwiesen für ein Seminar, bei dem Bauern lernen konnten biologisch hergestellte Pestizide zu produzieren. Das Seminar war in Luhwindja der „große Renner“: über 50 Bauern nahmen teil und inzwischen besteht die Hoffnung, daß eben nicht mehr soviel von der Ernte durch Insektenfraß vernichtet wird. Natürlich wäre alles ausführlicher und professioneller gewesen mit 2.500 Dollar. Aber die hatte man nicht und hat mit den vorhandenen Mitteln das gemacht, was möglich war.

Unsere Partner wollen eben kein Geld verdienen, sondern den Menschen helfen. Und deshalb können wir ihnen frohen Herzens dabei helfen.

Dienstag, 2. November 2004

Wir wußten über Annette Weber vom Ökumenischen Netz (Lobbystelle Kongo), daß die deutsche Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul den Bereich der Großen Seen besuchen wollte. Gestern kam aus Bukavu diese Nachricht von unseren Partnern: Samstag empfingen wir die deutsche Delegation unter Führung von Mme. Entwicklungshilfeministerin von Deutschland. Eine Delegation mit Abgeordneten, Journalisten... in welcher ich Annette Weber vom ÖNZ traf, die mit hww zusammenarbeitet.

Samstag konnte ich an einem Empfang teilnehmen, der vom deutschen Konsul in Bukavu, Herr Gebers in seiner Residenz bis zum Nachmittag gegeben wurde. Montagmorgen traf die Delegation schon um 8 Uhr die Zivilgesellschaft von Südkivu für über eine Stunde. Die Delegation wollte die Situation der Zivilgesellschaft nach dem Krieg kennenlernen. Ihr wurde ein Memorandum der Zivilgesellschaft von Süd-Kivu überreicht.

Nach diesem Treffen gingen wir zu (der deutschen Firma) PHARMAKINA, um sie auch zu besuchen. Danach besuchte die Delegation das örtliche GTZ-Büro, wo ein Projekt für vergewaltigte Frauen dargestellt wurde. Es gab einige Frauen und Männer, denen durch dieses Projekt geholfen worden war, die berichteten, daß die Hilfe seit einiger Zeit eingestellt worden war. Erst jetzt wurde mir klar, daß für dieses Projekt nicht genug Geld da ist.

Jedoch versprach die Ministerin dem Projekt so schnell wie möglich zu helfen., nachdem sie gesehen hat, in welcher Situation die vergewaltigten Frauen leben. Danach begleiteten wir die Delegation am Nachmittag über die Grenze nach Cyangugu in Ruanda, wo sie von einer ruandischen Delegation empfangen wurde. Am Rande hörten wir, daß wir mit dem Kindersoldatenprojekt leider doch noch bis 2005 warten müssen. Das Projekt als solches habe jedoch ein gutes Konzept....

Unser Vertreter in Bukavu hatte Gelegenheit, Frau Wieczorek-Zeul Photos aus den Projekten in Luhwindja (Wiederaufforstung, Entwässerung der Talaue von Namunana) und Bukavu (Straßenkinderprojekt) zu überreichen.

Die Presseerklärung des BMZ zu dieser Reise findet sich auf folgender Website: http://www.bmz.de/de/presse/pm/114_2004.html

Dienstag, 19. Oktober 2004

Manchmal gibt’s „Nachwirkungen“ auf unsere Veranstaltungen. So schreibt eine Lehrerin, die Mitglieder der Tansania-Delegation in ihre Schule eingeladen hatte: „Dieser Besuch war ein großer Erfolg. Meine Kollegen im Fach Englisch sowie die Schüler der unterschiedlichen Jahrgangsstufen waren begeistert. Wir bedanken uns herzlich bei Ihnen und den Mitgliedern der Delegation für diesen Beitrag zum Unterricht!“ Afrique Voisin heißt das Programm – unser afrikanischer Nachbar in NRW-Schulen. Begegnung mit Afrika in Schulen gehört inzwischen zum festen Bestandteil unseres Inlandprogramms.

Weiter ging’s dann im Programm mit einem Auftritt auf dem Bonner Marktplatz am Sonntag, 10. Oktober, wo Gerhard, Andreas und unsere vormalige Praktikantin Alexandra mit ihrem Freund den Stand von Dialog International im Rahmen der Eine-Welt-Tage-Bonn betreuten und viele gute Begegnungen mit der Bonner Bevölkerung hatten. Die Gespräche und Begegnungen an Infoständen sind uns sehr wichtig, weshalb wir gerne solche Gelegenheiten wahrnehmen. Schon viele gute Kontakte sind auf diese Weise entstanden. Und alle haben sich vorgenommen, im nächsten Jahr wieder dabei zu sein!

Am 11. Oktober kam dann Annegret aus Berlin vom Antikriegsmuseum mit ihrem Vater und bauten mit Gerhard die Albert-Schweitzer-Ausstellung auf, im Weiterbildungszentrum am Hauptbahnhof Düsseldorf, einem Ort, den täglich Tausende von Menschen aufsuchen, weil sich dort die VHS ist und die Zentralbücherei befinden. Wir wußten nicht wirklich, was die Ausstellung zeigen würde im Rahmen des Themas „Albert Schweitzer und Afrika“. Doch wir wußten, daß dazu eigentlich auch Johann Sebastian Bach gehört und wir hatten dann das große Glück, daß auch der Esengo-Chor noch frei war und gleichzeitig bei der Eröffnung der Ausstellung afrikanische Rhythmen erklingen ließ und Lieder in Lingala, Tshiluba und anderen kongolesischen Sprachen zu Gehör brachte – und das neben der Englischen Suite und einem weiteren Stück für Klavier und Flöte von Johann Sebastian Bach, gespielt von Marina Sonntag aus Brühl und Paul Müller aus Köln, beide 15 Jahre alt und begeisterte Musikschüler. Und solch ein kleines Musikereignis läßt man sich nicht entgehen, deshalb waren auch recht viele Besucher zur Vernissage gekommen, die wieder einmal eine gute Gelegenheit zum Gespräch war, bis in den späteren Abend. Allzu viele solche Gelegenheiten bietet Dialog International leider nicht an.

Die Ausstellung zeigt übrigens zahlreiche Photos von durchaus renommierten Photographen einerseits von Lambarene, andererseits aber auch zum Thema „Helfen in Afrika“.

In unserem Büro blieb die Zeit nicht stehen. Im September hatten wir einen kleinen Aufruf für die Sammlung von Computerbildschirmen gestartet, für ein Projekt in Kinshasa und siehe da, plötzlich standen im Büro insgesamt 8 Bildschirme, die noch fehlten, denn gebrauchte Computer sind schon da. Dies ist eine ausgesprochen gute Erfahrung. Wir machen sowas nicht alle Tage und bisher genügte jeweils ein Hinweis und einige Freunde konnten einiges möglich machen. Auf diese Weise hatten wir schon im Sommer auch einen kleinen Lagerraum gefunden, den uns ein Mitglied zur Verfügung stellt, damit wir Hilfsgüter, Bücher, Sonnenkocher, die Ausstellungen u.a. zwischenlagern können, bis sie benötigt werden. Dadurch verkleinern sich manche Probleme. Natürlich ist unser Büro immer noch ziemlich vollgestopft und entsprechend eng. Aber auch diese Situation bekommen wir vielleicht eines Tages verbessert.

Wie schon berichtet, wurden hier einige Projektzwischenberichte angefertigt, die das BMZ und andere Stellen jetzt benötigen. Dadurch bestand die Möglichkeit noch einmal einzelne Fragen an die Projektpartner zu stellen, um zu sehen, wie alles läuft. Solche Nachfragen sind sicherlich wichtig. Im großen und ganzen können wir zufrieden sein mit den Berichten. In Uvira hat die Gruppe allerdings beträchtliche Widrigkeiten zu überwinden. Aber wenn man bedenkt, daß bei der Rückintegration von geflüchteten Bauernfamilien aufs Land solche Familien bevorzugt in das Projekt aufgenommen wurden, die dabei sind, ehemalige Kindersoldaten ohne sonstige Hilfen zu integrieren, kann man sich vorstellen, daß die Probleme dort etwas größer sind. Erstaunlicherweise (oder sollte uns dies nicht erstaunen?) wird das Projekt von anderen Kindersoldaten immer wieder gestört, die nicht berücksichtigt wurden, aber gerne auch in ein solches Programm kommen möchten. Unsere Partner würden am liebsten noch ein weiteres Projekt auflegen speziell für Kindersoldaten. Sie haben dafür sogar schon einen Projektvorschlag ausgearbeitet. Aber da wir seit jetzt fast drei Jahren bisher vergeblich versuchen auch nur ein Kindersoldatenprojekt in der Nähe von Bukavu auf die Beine zu stellen, scheint im Moment reichlich aussichtslos, in Uvira mit einem zweiten Projekt hier helfen zu können. Dabei wäre jetzt die Zeit, in diesem Bereich tätig zu werden. Doch die deutschen öffentlichen Mittel, die der Bundestag dafür in diesem Jahr extra freigegeben hat, sollen nun in der Provinz Maniema (Kindu), westlich des Kivu, eingesetzt werden. Die Projekte im Kivu gehen leer aus. Wenn man daran denkt, wie wir von bestimmten GTZ-Leuten seinerzeit hingehalten, ja sogar belogen worden sind und wie einfach dort Mittel „umgewidmet“ werden konnten, die damals für „krisenmindernde Maßnahmen“ im Ostkongo vorgesehen waren, so könnten einem schon die Haare zu Berge stehen. Ob die Bundesregierung gut beraten ist, einen wesentlichen Teil der öffentlichen Entwicklungshilfe über die „gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ GTZ abzuwickeln ist ein Thema, das schon an vielen Stellen heftig diskutiert wurde. Dabei kann sicherlich gesagt werden, daß die GTZ so gut ist wie ihre Mitarbeiter. Wer dort motiviert und qualifiziert ist, kann sicherlich in ihrem Rahmen auch eine gute Arbeit machen und das geschieht auch. Leider haben große Organisationen offenbar mehr als andere die Tendenz, Refugium für „Trittbrettfahrer“ zu sein, die in unserem Fall die Realisation eines guten Projektes verhinderten. Inzwischen ist guter Wille da, aber angeblich wurde noch kein Weg gefunden.

Was geschieht eigentlich mit den vielen Kindersoldaten in den beiden Kivus, die in kein Reintegrationsprogramm kommen und die auch nicht mehr bei den Soldaten sind? Zunächst einmal ist ihr Leben ja schon ziemlich durcheinandergebracht, weil sie Opfer und Täter zugleich sind. Die von unseren Partnern vorbereiteten Projekte haben diesen Umstand berücksichtigt. Ihre Traumas sollten bearbeitet werden, gleichzeitig sollten sie an Programmen teilnehmen, welche einen Beitrag zur Wiedergutmachung bei der Bevölkerung leisten, z.B. sollten Schulen und Straßen repariert werden, die teilweise früher einmal z.T. auch von Kindersoldaten während des Krieges zerschossen wurden. Fest steht, daß wir von Dialog International mit unseren bescheidenen Mitteln, ohne fremde – öffentliche – Hilfe kein Programm für Kindersoldaten durchführen und finanzieren können. Um 300 Kindersoldaten auch nur für ein Jahr in ein solches Programm aufzunehmen, werden mindestens 100.000 Euro benötigt. Und eigentlich genügt ein Jahr nicht. Wir hatten dann noch eine ambulante „Nachsorge“ geplant, durch welche die rehabilitierten Kindersoldaten in einer Art Netzwerk durch Betreuer miteinander verbunden bleiben und sich gegenseitig helfen können, damit sie sich in der Zivilgesellschaft dauerhaft zurechtfinden können.

Gelegentlich hört man „Es ist Geld da für die Reintegration von Kindersoldaten, aber es wird nicht ausgegeben. Große internationale Organisationen haben Mittel (z.B. in Kinshasa), aber keine Projekte. Oder sie trauen anderen Organisationen nicht zu, gute Projekte durchzuführen und bleiben lieber auf den Mitteln sitzen, d.h. je länger sie darauf sitzen, umsomehr verschwindet, denn die, die darauf sitzen, wollen ja auch essen.

So scheint das zu gehen. Aber, wie sagt man? Nichts genaues weiß man nicht...

Man möchte am liebsten ganz laut schreien und mit dem Finger darauf zeigen. Denn in bezug auf die Kindersoldaten findet hier eine ungeheuerliche Gleichgültigkeit statt. Ist es eigentlich so vielen Menschen völlig egal, wenn Tausende, ja Abertausende von jungen Menschen schon zu Mördern geworden sind, vielleicht sogar gezwungen wurden, ihre eigenen Eltern oder Verwandten umzubringen und dann zu willigen Werkzeugen von irgendwelchen Warlords wurden und jetzt auf die Straße geworfen werden wie Müll? Würden wir besser vorankommen wenn wir für sie einen „Tierschutzverein“ gründen und sie alle als Tierpfleger zum Schutz der letzten Gorillas im Regenwald einstellen würden? Vielleicht würden arme Schimpansen dann mehr Mitleid erregen?

Darf ich sagen, wer die Last der Kindersoldaten im Kongo heute trägt? Die kongolesische Frau! Witwen vielleicht, die schon 4 oder 5 Kinder zu versorgen haben, nehmen halt noch ein oder zwei weitere Kinder auf und kümmern sich, so wie das eben in einer Solidargemeinschaft ist. Diese Frauen klagen nicht. Sie leben von ihrem Mikrokredit und von ihrem kleinen Garten und kämpfen um das Leben ihrer Kinder. Niemand spricht von ihnen. Und die Männer ernähren sich von ihren diversen Präsidentschaften, von ihrer Politik und von ihren Worten. Dies ist jetzt wahrscheinlich überspitzt gesagt. Aber so sieht es wohl vielerorts aus. Welche Spätfolgen dies einmal für die kongolesische Gesellschaft haben wird ist noch völlig offen. Außer, daß diese großartigen Frauen vielleicht doch so manchen Rabauken noch zivilisieren... Vielleicht können wir den Kindersoldaten mehr dadurch helfen, indem wir immer mehr Frauenprogramme unterstützen?

Samstag, 2. Oktober 2004

Am späten Dienstagnachmittag kam unsere Delegation aus Tansania in Düsseldorf an, die vom Versöhnungsbund bzw. von Uli Sonn eingeladen worden war, der seit vielen Jahren Austauschprogramme mit Tansania betreut und die für ein paar Tage Gast von Dialog International in Düsseldorf waren. Simon Mmakassa, Lena Msuya und Alphons Sambura kamen mitten in unsere rheinische Metropole - wortwörtlich, denn das Dominikanerkloster in der Düsseldorfer Altstadt hatte sich freundlicherweise bereit erklärt, die Gäste aufzunehmen. Am Dienstagabend gabs dann erstmal den Rhein zu bestaunen mit seinem intensiven Frachtschiffverkehr. Wir saßen bei milden Herbsttemperaturen in einer der vielen Pinten direkt am Rheinufer. Weil’s aber dann aber doch noch kühl wurde, wärmten die wenigen Gäste sich dann tatsächlich noch etwas an überdimensionalen Propangasheizgeräten. Also eigentlich wurde nur die Luft gewärmt und ein Hauch davon kam bei den Gästen an – letztenendes eine etwas absurde Einrichtung und eine Unsitte, die in der Gastronomie immer mehr um sich greift, um die Saison im Freien noch etwas über die natürliche Sommerzeit hinaus auszudehnen.

Doch schon am Mittwoch hatten die Gäste ein intensives Programm zu absolvieren, denn wir hatten sie in Düsseldorfer Schulen angekündigt und eine ganze Reihe von Englischlehrern hatten den Wunsch, die Gäste mit in ihren Unterricht zu nehmen. So schwärmten sie also aus, zusammen mit Alyscha, der tansanisch-deutschen Übersetzerin aus Dortmund, die während der ganzen Zeit ehrenamtlich die Gruppe begleitete. Insgesamt in acht Unterrichtsstunden wurde über Afrika, Tansania und Naturschutz gesprochen, oder besser gesagt englische Konversation betrieben zur vollen Zufriedenheit von Lehrern und Schülern – somit eine schöne Premiere für unser Projekt „Afrika Voisin – unser afrikanischer Nachbar in NRW-Schulen“.

Das Frühstück und das Mittagessen konnten wir Mittwoch im Café Grenzenlos einnehmen, in dem Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose usw. die Hälfte bezahlen, finanziert durch jene, welche den vollen Preis zahlen. Die außerordentlich angenehme Atmosphäre und sehr freundliche Aufnahme hatten diese Entscheidung voll belohnt. Wir waren ganz traurig, daß wir nur am Mittwoch dieses Angebot wahrnehmen konnten. Am Nachmittag war dann eine Schiffstour von Kaiserswerth zur Düsseldorfer Altstadt geplant. Angesichts der Tatsache, daß unsere Gäste in Tansania, wo nirgends ein schiffbarer Fluß fließt, samt und sonders noch nie mit einem Schiff gefahren waren, eine durchaus notwendige Maßnahme – doch leider hat für unsere schwarzen Gäste die Weiße Flotte von Düsseldorf einen Strich durch unsere Rechnung gemacht. Trotz Fahrplan hatte man am Morgen bei ein paar Regenwolken beschlossen, den Kurs ausfallen zu lassen. So waren wir umsonst nach Kaiserswerth geeilt und beschlossen dann aber – und das war wirklich ein ausgezeichneter Geistesblitz – schnurstracks zurückzufahren, um als Trost die Ausstellung AFRIKA REMIX im Kunstmuseum anzuschauen. Das war eine goldrichtige Entscheidung, weil diese Ausstellung moderner afrikanischer Kunst wirklich sehr sehenswert ist. Stellen Sie sich nur vor, wir kamen in einen großen Saal, wo an einer Wand, die vielleicht drei Stockwerke hoch war, ein majestätisch bunter Behang zu bestaunen war mit typisch afrikanischen Mustern. Dies konnte nur Gold, Silber und sonstiger edler Schmuck sein – vielleicht ein Teppich? Und als wir näher kamen, entpuppte sich dieser riesige Wandteppich als ein Kunstwerk aus – jawohl – Flaschenverschlüssen verschiedener Hersteller, kunstvoll verknüpft. Und so gings weiter. Was bei uns im Müll endet, war hier als außerordentlich kunstvoll zusammengefügte Figur ineinandergefügt, durchaus vom Rost angenagt und trotzdem eine Würde austrahlend, die einen staunend macht, wieso derartige Dinge hierzulande im Müll landen.

Doch dies war beileibe nicht der einzige Eindruck. Videoinstallationen beeindrucken mit ihren fließenden Übergängen vom Bild, vom Photo zum Film. Und von Marokko bis Südafrika sind Künstler vertreten, oft mit außerordentlich futuristischen Arbeiten. Kurzum eine Ausstellung, die einen Besuch lohnt.

Nachdem wir somit am Mittwoch so lange durch Kaiserswerth, die Ausstellung und die Schulen gelaufen waren, sind wirklich alle am Abend völlig erschöpft gewesen und jeder hatte schon kurz nach Sonnenuntergang das dringende Bedürfnis nach Schlaf...

Das war auch nötig, weil wir am Donnerstag früh aufstehen mußten, um zum Solar-Institut nach Jülich zu fahren, wo wir von Prof. Schwarzer überaus freundlich empfangen wurden, der uns eine Einführung in die wesentlichen Solartechniken und –projekte gab, die sein Institut fördert. Dazu gehören sowohl eine solare Bäckerei in Burkina Faso als auch solare Heizsysteme im Hochland von Argentinien. Natürlich interessierten sich unsere Gäste vor allem anderen für relativ einfache Techniken, die im ländlichen Bereich Tansanias anwendbar sind. Das Solar-Institut Jülich mit einem reichen Erfahrungsschatz konnte hier gute Hinweise geben.

Nachdem wir in der Mensa der FH-Aachen, Abteilung Jülich, zu Mittag gegessen hatten, begann die Reise zurück nach Düsseldorf, doch nicht ohne einen Zwischenhalt in Köln, wo natürlich der Kölner Dom besichtigt werden mußte. Am meisten erstaunte die Tatsache, daß der Dom bereits seit 750 Jahren erbaut wird und immer noch nicht richtig fertig ist. An allen Ecken Baugerüste zeugen davon, daß der Dom wahrscheinlich nie richtig vollendet wird. Wenn er am einen Ende fertig ist, beginnen die nächsten Arbeiten am anderen Ende.

Anschließend sollten eigentlich erste Eindrücke von deutschen Kaufhäusern stehen. Und dafür hatten wir uns tatsächlich die Hohe Straße von Köln ausgesucht. Am Ende blieb nur das Staunen über die unendlichen Menschenmassen, die durch diese durchaus enge Gasse strömten und wir waren noch nicht die Hälfte des Weges gelaufen, vorbei an all den Kaufpalästen, die in einer Einkaufsstraße stehen, als der dringende Wunsch entstand, so schnell wie möglich nach Düsseldorf in die Abgeschiedenheit des Dominikanerklosters in die Altstadt zurückzukehren. Somit gings zügig weiter zum Neumarkt und per U-Bahn zurück zum Hauptbahnhof, wo die Ruhebänke auf den Bahnsteigen wahre Labsal boten, bis der Zug nach Düsseldorf kam.

Am Freitag schließlich waren wir eingeladen vom Wuppertal-Institut, wo sehr unterschiedlich zu Umweltproblemen geforscht wird. In einer Präsentation wurde unseren Gästen die Arbeit der Wissenschaftler vorgestellt. Und man gab auch ehrlich zu, daß bisher internationale Kontakte, vor allem in den Bereich des Südens, der sogenannten Entwicklungsländer, eher vernachlässigt worden waren, weshalb man den Besuch der Delegation aus Tansania sehr begrüßte. Wenn man in Wuppertal ist, muß man natürlich mit der Schwebebahn fahren, was wir dann auch mit einigen Mitarbeitern des Instituts, während der Mittagspause vom Zentrum zur Endstation in Vohwinkel und wieder zurück ausgiebig genossen. Natürlich war das Staunen groß, auch bei Teilnehmern, die schon länger in Deutschland leben und noch nie etwas von der Wuppertaler Schwebebahn gehört hatten. Wir müssen zugeben, daß einige kurz davor standen, tatsächlich seekrank zu werden, da die Schwebebahn nicht nur schwebt, sondern auch beträchtlich schwankt beim Fahren und wenn man bedenkt, daß seit über hundert Jahren mit einer Ausnahme kein einziger Unfall passiert ist, so steht dies sicherlich einmalig in der Welt dar. Der Unfall geschah vor wenigen Jahren als nach einer nächtlichen Reparatur ein Handwerker vergessen hatten sein Werkzeug von den Gleisen, die über dem Dach der Bahn angebracht sind, die daran hängt, abzumontieren. Frühmorgens stürzte dadurch die erste Bahn am Montagmorgen schlicht in die Wupper. Es gab Tote und Verletzte. Aber das war die absolute Ausnahme. Wir kamen völlig sicher hin und zurück und die Wuppertaler erzählten uns sogar, daß die Stadtväter doch in allem Ernst vorgehabt hätten, die Schwebebahn abzuschaffen, weil sie eigentlich zu teuer sei. Aber was wäre denn Wuppertal ohne die Schwebebahn? Wer würde überhaupt nach Wuppertal fahren, wenn es keine Schwebebahn mehr gäbe? Ganz abgesehen davon, daß kaum eine Stadt vergleichbarer Größe den Bürgern ein öffentliches Verkehrssystem anbieten kann, das doch tatsächlich alle 4 – in Worten vier – Minuten einen Zug anbietet und eine Verbindung von einem Ende zum anderen. Natürlich haben sich das auch die Wuppertaler gedacht und so stark gegen etwaige Stillegungspläne protestiert, daß künftig kein Politiker wagen wird, so etwas jemals wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Und am Nachmittag des Freitags fuhren wir wieder zurück nach Düsseldorf, genauer gesagt in den Süden von Düsseldorf, wo die Welt noch ganz ländlich ist. Diese Gegend heißt „Urdenbacher Kämpe“ und ist eine sehr ursprüngliche niederrheinische Auenlandschaft, die von einem gemeinnützigen Verein geschützt und bewahrt wird und - man kann dies nicht genug betonen – wunderschön ist. Besonders im Frühjahr, weil die Auen über und über mit Obstbäumen bestanden sind, die dann blühen. Aber wenn der Rhein Hochwasser hat, dann ist plötzlich diese Auenlandschaft ein einziger riesiger See, weil sie durch keinen Damm von dem Strom getrennt ist und Haus Bürgel, welches schon in römischer Zeit an dieser Stelle gebaut wurde, schaut wie eine kleine Insel aus dem Hochwassergebiet hervor. Und genau dort waren wir zu Gast und haben lernen können, wie solch eine ursprüngliche Landschaft in unmittelbarer Nachbarschaft der Großstadt bewahrt und beschützt wird. Für unsere tansanischen Gäste war dies ein sehr aufschlußreicher Besuch, nicht nur deshalb, weil sie hier erstmals ganz bewußt wahrnehmen konnten, wie wir in Mitteleuropa mit den Jahreszeiten leben müssen. Daß Obstbäume im Frühling blühen müssen, um im Herbst Frühte zu bringen, daß sämtliche Bäume im Winter ihre Blätter abwerfen und im Frühjahr wieder neu ergrünen, wenn sie nicht gerade Nadeln tragen.

Auch deshalb, weil dort in der Urdenbacher Kämpe irgendwie eine Verbindung zu ihrer eigenen Arbeit in Tansania hergestellt werden konnte, denn auch dort geht’s um die Rettung ursprünglicher Landschaften. Die Bevölkerung soll lernen, energiesparende Öfen zu benutzen, mit wesentlich weniger Holzbedarf usw.

Doch die Uhr, die für einmal an den Armgelenken der Afrikaner tickte und nicht bei den Europäern, (normalerweise haben Afrikaner die Zeit und die Europäer die Uhren...) ging unweigerlich weiter und wir hatten am Abend in der Volkshochschule ja noch die Veranstaltung RWANDA POUR MEMOIRE – ein Film zum Gedächtnis an das Massaker in Ruanda vor 10 Jahren.

Der Film versuchte, was eigentlich nicht möglich ist, zu verstehen, was eigentlich niemand verstehen kann, nämlich eine Antwort zu finden auf die Frage „warum“. Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle aus ganz Afrika waren um die Jahrtausendwende nach Ruanda gekommen um sich zu erinnern, um sich zu fragen, was eigentlich geschehen ist. Und der Film fing diese Szenen ein. Jene an den Erinnerungsstätten – in der späteren Diskussion wurde gefragt, warum die dort liegengebliebenen Toten nicht endlich beerdigt würden – Die Frage, ob nicht irgendwie anders, ganz anders, zwischen Hutus und Tutsis ein Neuanfang versucht werden könnte. In der Diskussion hörten wir, daß die Kolonialmächte Deutschland und Belgien so ziemlich taktlos Einfluß genommen hatten auf die Völkerschaften in ihren Gebieten und etwa recht einseitig Tutsis bevorzugten. Somit wurde der Grundstein für neuzeitliche Haßkampagnen gelegt. Und als dann 1959 die belgische Kolonialmacht das Ruder zu spät herumriss und genauso einseitig plötzlich die Hutus bevorzugte, war alles zu spät.

Somit kann sich Europa nicht mehr von einer Schuld freisprechen.

Wir haben noch lange in der VHS zusammengesessen und über den Film diskutiert.

Am heutigen Samstag sind die Gäste wieder abgereist und bei Dialog International kehrt wieder Alltag ein. .

Montag, 27. September 2004

Statt Not-Kongotag hatten wir letzten Samstag einen Überraschungskongotag. Die größte Überraschung war die Teilnahme der Esengo-Chor-Leute aus Düren, die einige wunderschöne kongolesische Lieder unter Trommelbegleitung sangen. Wie erfrischend dies für die Stimmung ist, wenn nicht nur heiße Debatten laufen, sondern zwischendurch auch mal locker gesungen wird – und nicht wenige Teilnehmer im Publikum summten die „Heimat“-Melodien mit...

Ansonsten sprachen Maïtre Jean-Jacques Badibanga aus Brüssel, Paul Indongo-Imbanda und Dominic Johnson aus Berlin, David Kapuya-Ngalula und Muepu Muamba, unser Vorsitzender. Ausgelotet wurden die Chancen für den wirklichen Übergang zu demokratischen Wahlen im Kongo, der eigentlich sehr viel mehr Zeit benötigt, als ihm gegeben ist. Hauptproblem stellt ein Thema dar, mit dem schon der zweite Kongokrieg begann: Die Frage der Staatsangehörigkeit. Wer ist Kongolese, wer nicht... Gehören die Banyamulenge, also die kongolesischen Tutsis zum Staatsvolk oder nicht? Erst wenn dies geklärt ist, können Wahlregister eröffnet werden. Man kann natürlich sehr unterschiedlicher Meinung sein über die Qualität der kongolesischen Führer, die in der Übergangsregierung sitzen. Manche wünschte man sich vielleicht eher vor den Schranken eines Tribunals, aber dennoch wurde betont, daß mit viel Klugheit eine Regierung gebildet wurde, in der jetzt alle Kriegsparteien sitzen. Trotz einiger Scharmützel im Osten geht’s irgendwie voran. Allerdings wurde betont, daß vielleicht die endgültige Wiedervereinigung der verschiedenen Rebellenbewegungen noch nicht vollzogen ist, solange jede auf eigenständigen militärischen Strukturen besteht. So geht doch alles viel langsamer voran als geplant. Vom Programm, so wurde gesagt, sind erst 5 % realisiert worden, etwas wenig für dieses Land, welches dringend auf eine funktionsfähige Regierung und Verwaltung wartet.

Die Diskussionen der etwa 40 Teilnehmer waren sehr ruhig und sachlich. Man hörte sich zu und ging auf die Argumente ein, auch wenn natürlich sehr unterschiedliche Meinungen geäußert wurden, z.B. was die Rolle Ruandas und Kagames im Kongozusammenhang anbetrifft.

Leider waren in gewisser Weise einige Kongofans unter sich. Wir hatten auch ein paar Gäste, die noch nie auf einem Kongotag waren, aber warum wir nicht mehr auf Teilnehmerzahlen von 70-80 kommen, wie noch vor einigen Jahren liegt nicht nur daran, daß heute viel weniger kongolesische Asylbewerber hier leben und deshalb Kongotage am Rande auch immer Asylberatung gaben und deshalb für Kongolesen attraktiv waren.

Für sehr angeregte Unterhaltungen in den Pausen war der Kreis aber gerade richtig und dazu gab’s dann noch leckeren Kuchen, frisch gebacken von Gerhard, so daß wir richtig im Kuchen schwelgen durften.

Mittwoch, 22. September 2004

Einen Not-Kongotag wollten wir machen. Nicht, weil die Not im Kongo immer noch groß ist – wir hätten seit über 10 Jahren permanent Notkongotage veranstalten können – nein, weil plötzlich zwei Drittel der Zuschüsse wegzubrechen drohten von NRW-Landesmitteln. Somit hatten wir uns auf einen Kaffee- und Kuchen-Kongotag im kleinen Kreis eingestellt, um wenigstens ein paar aktuelle Infos auszutauschen und etwas Gelegenheit zur Begegnung zu bieten. Und dann kam Montag die Nachricht der Woche: Ihr bekommt fast alle Mittel. Nur 10 % Kürzung und zwar nicht nur für den Kongotag bekommt Ihr das, sondern auch für die Albert Schweitzer-Ausstellung im Oktober. Die Telefondrähte liefen heiß, denn Muepu konnte nun alle Referenten anfragen, die er neulich hat wieder ausladen müssen, weil das Geld nicht reichte. Und das Hotel hatte sogar noch die abgesagten Zimmer frei – trotz Messe. Also ganz genau wissen wir noch nicht, ob alle Referenten wirklich kommen, aber jedenfalls einige mehr als ursprünglich geplant. Somit steht jetzt fest, daß wir einen Kongotag ohne Einschränkungen durchführen können – außer die Teilnehmer bleiben zu Hause. Aber da die Olympischen Spiele schon vorbei sind und auch keine Weltmeisterschaft vor dem Fernsehen ausgetragen wird und vielleicht sogar Regen angesagt ist, könnte unser Kongotag für einige vielleicht doch eine attraktive Alternative sein. Und Kaffee und Kuchen gibt’s natürlich nach wie vor nebenbei auch. Nur der Afrikatag hat schon letzten Sonntag stattgefunden, weil diesmal zwar Dialog International, aber nicht der Afrikatag im Haus der Kirche zugelassen war. Wir danken dem Haus der Kirche sehr, hoffen aber, daß im nächsten Jahr auch wieder der Afrikatag unser Partner sein darf.

Und nächste Woche ist eine Delegation von Umweltschützern aus Tansania bei uns zu Gast. Eigentlich sind sie beim Internationalen Versöhnungsbund zu Besuch, schon seit drei Wochen in NRW, aber in Düsseldorf sind sie unser Gast. Wir haben ein Programm mit für sie fachlich interessanten Begegnungen zusammengestellt, aber auch in einigen Schulen angefragt – dank Umweltamt der Stadt Düsseldorf, oder genauer: Agenda-21-Büro. Und plötzlich kamen ganz viele Schultermine zustande. Alle Englischlehrer wollten unsere Tansania-Delegation im Unterricht haben. Jetzt wird nächste Woche die Delegation ausschwärmen und in fast einem Dutzend Schulklassen englische Konversation betreiben zum Thema Umweltschutz am Kilimandscharo. Ein Thema, welches sicherlich auch für Kids in Deutschland jedenfalls nicht langweilig ist, vor allem dann, wenn man dabei auch noch seine Englischkenntnisse verbessern kann.

Somit wären wir mitten in unseren Schulprojekten. Wer aufmerksam auf unseren beiden Webseiten ( www.solarenergie-fuer-afrika.de ) und dieser Homepage herumgesurft hat, wird festgestellt haben, daß wir zwei sehr unterschiedliche Angebote haben, die auch schon von einigen Schulen erfolgreich wahrgenommen worden sind. Aber ansonsten doch sehr zögerlich. Natürlich verstehen wir, daß während der Sommerferien alle lieber am Strand lagen und danach furchtbar viel zu erledigen war. Aber inzwischen verpassen Sie, meine Damen und Herren im Schuldienst, doch eine ganz Menge, wenn Sie nicht unser Angebot buchen. Man kann nicht alle Tage mit Afrikanern im Unterricht aufwarten, die den Französischunterricht beleben oder Solarkisten mit Ihren Schülern zusammenbauen.

Wir danken den Bezirksregierungen von NRW, die immerhin in den letzten Wochen unsere Infos zumindest in einigen Amtsblättern und über die Schulpost verbreitet haben und hoffen, daß nicht alles gleich im Papierkorb landet...

Wer in diesen Tagen das Büro von Dialog International erreichen will, muß leider auf die freundliche Stimme unserer digitalen Telefonistin verzichten, die an der Telefonpforte stand und immer genau wußte, ob ein Fax oder ein Gespräch kam und die sogar bei Bedarf den Anrufbeantworter aktivierte. Wir wissen eigentlich auch nicht genau, ob sie krank ist oder gar nicht mehr kommt, jedenfalls sind im Moment sowohl Fax als auch Anrufbeantworter lahmgelegt.

Das ist natürlich sehr bedauerlich für alle, die gewohnt waren, daß Dialog International eigentlich irgendwie rund um die Uhr erreichbar war. Per Email sind wir das natürlich immer noch, aber leider im Moment nicht per Telefon. Das technische Problem ist jedenfalls noch nicht behoben. Wir wissen noch nicht einmal, ob die Dame an Alterschwäche leidet. Peinlich sowas. Wir wünschen natürlich sehnlichst gute Besserung, aber ohne Doktor ist das wahrscheinlich ein Problem...

Freitag, 17. September 2004

Die Woche ist schon wieder rum und hier stellt sich die Frage: womit anfangen? Nehmen wir DHL. Emmanuel in Bukavu hatte sich entschlossen, hier dringend benötigte Originalbelege mit DHL zu verschicken, dem Expressdienst der Deutschen Post, der inzwischen auch im afrikanischen Busch seine Niederlassungen eröffnet hat und die Zustellung sollte Montag sein, was sie auch war. Nur war hier niemand im Büro. Also begann ein Spießrutenlauf beginnend mit einem Zettel der sich im Briefkasten befand. Man möge eine Nummer anrufen und eine neue Zustellung vereinbaren. Die Nummer begann mit 01805: 12 Cent die Minute, die sich Telekom und DHL teilen. Dienstagfrüh um sieben telefonierte ich zu dieser Nummer und kam in einen automatischen Bereich wo man eine eins, eine zwei oder eine drei drücken mußte und dann waren alle Leitungen im Gespräch, man kam auf die Warteliste für 12 Cent die Minute. Zur gleichen Zeit boten die Privaten Telefongespräche deutschlandweit für 0,99 Cent an. Schließlich konnte die Zustellung vereinbart werden, ab 11 Uhr. ok.

Kurz später kam ein Fax, mit dem uns angekündigt wurde, daß diese Sendung da sei und eine Zustellung vereinbart werden müsse. Nun ja, das hatten wir ja gerade erledigt. Nur, der Tag ging hin und nichts wurde zugestellt. Um 15 Uhr zum Gedenken an die vergebliche Zustellung am Vortag, telefonierte ich nochmal mit der 01805 Nummer – vergeblich. Die Warteschleife schien endlos. Sie wollten erstmal kassieren. Ach ja, da waren ja auf dem Fax noch andere Telefonnummern, sogar eine 0800-Gratisnummer. Also dort anrufen. Doch was wurde mir gratis mitgeteilt: Bitte benutzen sie die Nummer 01805...

Und dann fanden sich tatsächlich noch zwei ganz normale Nummern in Ratingen bei Düsseldorf. Leider hob da keiner ab. Schließlich wurde mir alles zu bunt und ich telefonierte für 1,75 Cent die Minute zur Zentrale von DHL nach Langen bei Frankfurt mit einem Wutausbruch. Sofort wurde ich zur normalerweise 01805 Nummer weitergestellt. Mein Anfruf um 7 Uhr morgens war überflüssig gewesen – der Kollege hatte die Information gar nicht weitergegeben, man wartete auf meine Antwort auf das Fax. So konnte ich endlich die Zustellung für Mittwochmittag vereinbaren. 2 ½ Tage später. In Bukavu hatte man übrigens 122 Dollar für die Expresszustellung gezahlt an „DHL Worldwide Express“. Die letzte Meile ging dann im Schneckentempo für12 Cent die Minute. Kam ja gerade hin.

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Bei der Zustellung war niemand im Büro, weil Alexandra sich auf Prüfungen vorbereiten mußte und ich bei einer Konferenz in Bonn zum Thema „Ziviler Friedensdienst im Kongo“ war. Erstmals waren die unterschiedlichen Organisationen versammelt um sich auszutauschen, die solche Projekte für den Kongo vorbereitet haben. Wir hatten gemeinsam mit Pax Christi ein ZFD-Projekt für Bukavu vorbereitet. Fakt ist inzwischen allerdings, daß die Gelder vorläufig nicht mehr erhöht und die vorhandenen somit für die Fortführung der bestehenden Projekte benötigt werden. Somit bleibt für den Kongo offenbar nichts übrig. Logische Folge wäre somit, die Berliner Kongo-Lobbystelle des Ökumenischen Netzes würde sich dahinterklemmen und alle Hebel in Bewegung setzen, daß die Prioritäten anders gesetzt würden. Und genau das sollte eigentlich einen Tag später, am Dienstag, bei einer Sitzung des ÖNZ in Köln geregelt werden. Hinter dem ÖNZ stehen große Hilfsorganisationen wie Misereor, Brot für die Welt, Vereinigte Evang. Mission, Evang. Entwicklungsdienst usw. Doch waren die offenbar recht müde und haben jedenfalls andere Prioritäten beschlossen. Pax Christi kam mit seinem Wunsch, Lobbyarbeit für den ZFD zu machen nicht durch. Die „Großen“ haben sich ja eigentlich in den letzten 10 Jahren noch nie ernsthaft für Friedensarbeit im Bereich der Großen Seen interessiert, außer man hätte dafür irgendwo Zuschüsse bekommen können. Traurig das alles. Die „Lobbyarbeit“ degeneriert mehr und mehr zu einer Berliner „Politikberatung“, mit den kleinen Freuden zu den großen Korridoren der Politik vorgelassen und gnädig angehört zu werden. Ob sowas der Kongo braucht?

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Für unsere Schulprojekte machen wir jetzt kräftig Werbung. Ist ja gar nicht einfach, Lehrer zu motivieren, externe Referenten in den Unterricht zu holen und ohne amtliche Bewilligungen geht das nicht, d.h. kaum ein Lehrer macht was, wenn nicht die Obrigkeit dem zustimmt. So bemühen wir uns, mit Ankündigungen in die hiesigen Amtsblätter zu kommen. Und über die Regierungspräsidien Infos verteilen zu lassen. Inzwischen auch eine Einladung zu einer Lehrerfortbildung. Nähere Informationen finden sich auf dieser Website zu AFRIQUE VOISIN und zum Schulsolarprojekt auf der Solarwebseite.

Auch eine neue Ausgabe des PAZIFISTEN ist in dieser Woche herausgekommen. Diesmal mit einigen kritischen Beiträgen aus der DISARMAMENT TIMES, New York, welche die letzten UNO-Länderberichte kritisch untersucht und herausgefunden hat, daß das Generalsekretariat nicht unbedingt die kompetenteste Expertise dem UN-Sicherheitsrat vorlegt und dazu noch übermäßig auf die Mächtigen dieser Welt Rücksicht nimmt. Hat eigentlich jemand etwas anderes erwartet? Für Friedensarbeit ist natürlich fatal, wenn noch nicht einmal die Berichterstattung aus Konfliktgebieten so zuverlässig ist, wie das eigentlich notwendig wäre.

Samstag, 11. September 2004

Welch ein Datum! Elfter September. Neun-elf. Wurde die Welt verändert? Wurde die Welt in einem Bahnhof von Madrid verändert? Hat sie Beslan verändert?

Das Attentat in Sarajewo 1914 hat die Welt verändert. Man merkte dies viel später. Und auch dies kam nicht aus heiterem Himmel.

Müssen Konflikte wirklich so lange schwelen, bis eine Explosion kommt? Warum sind so wenige damit befasst, couragiert in Konfliktfeldern zu arbeiten, wie dies z.B. die römische Gruppe St. Egidio erfolgreich begonnen hat. In diesen Tagen hat St.Egidio in Mailand eine große ökumenische, ja interreligiöse Konferenz (mit Rabbis und Muftis...) organisiert und der orthodoxe Bischof Teofan von Beslan kam und berichtete, wie er höchstpersönlich lebende und tote Kinder aus der Schule getragen hat.

Wurde nicht lange genug gemahnt, daß Putins Tschetschenienkrieg nicht in Ordnung sei?

Natürlich finden alle selbstverständlich, daß diese schrecklichen Nachrichten gebührende Beachtung bekommen.

Was immer südlich der Sahara passiert scheint jedoch auf dem Weg in die internationale Öffentlichkeit allzuoft in einem Bermuda-Dreieck zu verschwinden. Hat die Sklaverei die Welt verändert? Hatte je die Dezimierung der kongolesischen Bevölkerung um vielleicht zwei Drittel durch die Schergen Leopolds II die Welt verändert? Hat die Apartheid die Welt verändert? Mobutu? Und der letzte Kongokrieg mit 4 Mio. Toten?

Afrikaner fragen sich zu Recht, wieso eigentlich bei uns mit zweierlei Maß gemessen wurde und wird.

Doch Moment. Wer hat eigentlich tausend Jahre Leibeigenschaft in Deutschland wahrgenommen? Die Geschichte wurde nicht von den Leibeigenen geschrieben...

Wer hat wirklich das Elend der Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert registriert? Sie hatten nichts von den Kolonien.

Wer hat wirklich die Not der Christen in Kleinasien vor der (kleinasiatischen) Katastrophe wahrgenommen? In gewisser Weise erste Opfer des Islamismus in der Neuzeit.

Wer, bitte, hat denn einem gewissen österreichischen Maulhelden den Mund gestopft?

Wer wollte den totalen Krieg?

War die Welt mit Blindheit geschlagen? Verrückt geworden?

Hier läßt sich staunend wahrnehmen, daß in Afrika Werte überlebt haben, die mit zweierlei Maß überhaupt nicht mehr wahrnehmbar sind. Werte, die möglicherweise dauerhafter sind als eine bürgerliche Zivilisation, der in Weimar die Bücher verbrennen, weil irgendein Handwerker geschlammt hat. Afrika lebt ohne Schrift Hochkultur. Das muß man erstmal wahrnehmen. Eine humane Hochkultur, die trotz punktueller Inquisition und Hexenverbrennung noch heute menschliche Werte hervorbringt, wie z.B. Barmherzigkeit, die in den Industriestaaten oft allenfalls noch als wohldefinierter Begriff in brennbaren Büchern zu finden ist.

Wer ohne Klagen und Murren in einer Provinz von der Größe von Rheinland-Pfalz mehrere Hunderttausend Kongo-, Ruanda- und Burundiflüchtlinge aufnimmt und auch noch Barmherzigkeit übt, wie die Menschen in Ost-Tansania, der beweist eine menschliche Größe, von der sich Europäer eine Scheibe abschneiden könnten, wie man so sagt, Europäer, denen in ihren Großstädten manchmal 20 „Asylanten“ zu viel waren. Und Afrika kennt seit über 100 Jahren Bevölkerungsverschiebungen biblischen Ausmasses und man lebt ohne Probleme miteinander, lernt die Sprachen der Nachbarn in einem Ausmaß, wie dies in den Industrieländern absolute Ausnahme ist. Nur dort, wo die einstigen Kolonialherren (oder ein gewisser CIA) Disteln säten, stehen heute Blauhelme auf vermintem Gelände.

Aber das war nur ein Exkurs, leider etwas zu lang geraten.

So schrecklich diese Nachrichten aus Beslan auch sind, daß 350 Kinder in einer Schule von Teufeln erschossen wurden: In Ciherano, einer kleinen Gemeinde mit wenigen tausend Einwohnern im Ostkongo, sitzen fassungslos über 350 vergewaltigte, geschändete, geplünderte junge Frauen und Witwen, viele mit Kindern und wissen nicht weiter. Und sie sind eine ganz kleine Zahl von

(überlebenden) Opfern des Kongokrieges. Der neugegründete Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wird sich in seinen ersten Verhandlungen mit schier unglaublichen Fällen von Kriegsverbrechen aus dem Kongo befassen müssen. Doch trotzdem bleiben die meisten Übeltäter wohl straffrei und einige, die besonders viel auf dem Kerbholz haben, sitzen sogar heute ganz prominent in der Übergangsregierung. Nun ja, wenn sie denn dort vom „Saulus“ zum „Paulus“ würden, dann könnte eine Versöhnungskommission auch nicht mehr leisten, aber bisher hat’s dafür noch keine Anzeichen...

Die gute Nachricht ist, daß gestern das deutsche Entwicklungsministerium uns offiziell mitgeteilt hat, daß ein Hilfsprojekt für diese 350 geschändeten Frauen in Ciherano unverzüglich beginnen kann. Natürlich haben wir dies sofort nach Bukavu gemeldet, wo die Freudensprünge der Mamans UMOJA, so heißt die Gruppe, buchstäblich noch in Düsseldorf zu spüren waren. Und was hörten wir hinter vorgehaltener Hand aus dem BMZ? Man hatte unseren Projektantrag angesichts des Problems für viel zu bescheiden gehalten und es sieht so aus, als ob jetzt die Weichen für ein längerfristiges Hilfsprogramm gestellt werden.

Was soll in Ciherano getan werden?

Die Frauen werden in Bezugsgruppen organisiert, wo mit Psychologen versucht werden soll, die Traumata zu verarbeiten. Auf der medizinischen Ebene sollen sie ärztlich untersucht und gegebenenfalls behandelt werden. Viele wissen überhaupt nicht, welche Krankheiten sie evtl. in sich tragen und bisher hat sich kein Frauenarzt um ihre körperlichen Schädigungen gekümmert.... Auf der materiellen Ebene steht ein Mikrokreditfonds zur Verfügung für Hausrat, Kleinvieh und Saatgut. Und auf der sozialen Ebene finden verschiedene Seminare statt. Drei hauptamtliche Mitarbeiterinnen und einige weitere ehrenamtliche Frauen werden sich um die Opfer kümmern.

Von der ersten Stunde an war uns klar, daß eine Hilfe für diese Frauen von Ciherano für uns absolute Priorität haben müsse. Mit einem halben Jahr Vorbereitungszeit (bei allem guten Willen geht’s leider immer noch nicht schneller) gehört dieses Projekt zu denen, die zügig bewilligt wurden. Nach dem Krieg in Bukavu, Anfang Juni, haben wir übrigens noch 70 Frauen hinzugenommen, aus Gruppen, die mit uns zusammenarbeiten, welche im Juni ausgeraubt geplündert und verletzt wurden.

Und weil wir beim BMZ keine bewilligten Mittel abrufen können, wenn wir nicht vorher einen Vertrag mit den Partner abschließen, wurde dieser sogleich gestern und heute aufgesetzt und geht jetzt in die Übersetzung, damit er nächste Woche nach Bukavu geschickt werden kann.

Doch gestern haben wir auch endlich die Einladungen für den Kongotag und für unsere Veranstaltungen in der Volkshochschule fertigstellen können. Immerhin soll der Kongotag trotz drastischer Mittelkürzungen irgendwie noch stattfinden und - man muß fast sagen – „leider“ geht der Diskussionstoff nicht aus. Die Frage, ob der Übergang, die Transition von der Diktatur zu einer Demokratie mit gewählter Regierung, wirklich vorankommt, kann die Gemüter selbstverständlich erhitzen, vor allem solche, die genau darauf ein halbes Leben gewartet haben. Wer kann sich denn vorstellen, daß im Kongo erst ein einziges Mal wirklich demokratische Wahlen stattfanden? Und das noch in der belgischen Kolonialzeit. Aus diesen Wahlen ging Patrice E.Lumumba mit seiner MNC als Sieger hervor, was bekanntlich den Weltmächten nicht paßte, sodaß er beseitigt wurde. Jetzt ist eine neue Generation herangewachsen, die nichts sehnsüchtiger als Frieden, Freiheit, Demokratie, (juristische) Stabilität und vielleicht auch ein klitzekleines bißchen Wohlstand wünscht – den sie übrigens angesichts der realen Reichtümer des Landes durchaus verdient hätte. Aber überall dort, wo Reichtümer geplündert werden können, stören die Menschen, die zufällig dort zu Hause sind. Was wir im Kongo gesehen haben, sehen wir jetzt im Sudan und anderswo auch.

Deshalb ist nicht verkehrt, wenn unsere Freunde von Pax Christi so großen Wert legen auf die SOLIDARITÄTsarbeit. Solidarität steht für Ermutigung. Und ermutigt werden sollen Menschen, die in solch außerordentlich schwierigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen leben, wie z.B. unsere Freunde im Kongo. Und sie glauben gar nicht, wie wenig nötig ist, damit diese Freunde sich ermutigt fühlen und Höchstleistung bringen.

Vor 14 Tagen und viel zu spät hörten unsere Partner von einem EU-Projekt, bei dem der 13.9. Torschluß ist und man alles in einem Briefumschlag in Kinshasa abgeben muß. Das ist so, als müßten wir unsere Anträge statt in Bonn in Rom abliefern und weder Zug noch Post noch sonstwas funktionierten.

Und jetzt haben sie doch tatsächlich in den letzten 14 Tagen bienenfleißig einen EU-gerechten Antrag produziert und wir müssen von hier aus vermitteln, daß jemand in Kinshasa die „letzte Meile“ formgerecht bewältigt und am Montag physisch am Boulevard du 30 juin alles abgeliefert.

Und dabei wunderten wir uns schon über die Maßen, daß wir zwei Wochen lang nichts mehr aus Bukavu hörten, rein gar nichts. Wenn wir genau hingehört hätten, hätten wir allerdings das Summen hören müssen.

Donnerstag, 9. September 2004

Dieses Tagebuch braucht Geduld. Und hat geduldig gewartet. Einen ganzen Monat lang, als ob während der Zeit bei Dialog International die Zeit stehengeblieben wäre.

Dabei läßt sich alles andere sagen als das. Liebes Tagebuch. Bitte entschuldige. Du führst auf dieses Webseite ein Mauerblümchendasein, welches Du überhaupt nicht verdient hast.

Stell Dir mal vor, liebes Tagebuch, während der letzten Wochen hat die ganze Zeit Alexandra hier im Büro fleißig und ehrenamtlich als Praktikantin mitgearbeitet! Und zuletzt hat sie sogar angefangen, alle Projektanträge aus dem Kongo in ein System zu bringen, welches übersichtlicher ist als das bisherige der Erinnerung, das zu viel vergessen ließ.

Heute fragte Mathew aus Uvira an, was denn mit seinem schon fast seit einem Jahr vorliegenden Antrag zur Wiederaufforstung sei. Ja, was ist? Er liegt noch da. Wir konnten gar nichts tun. Und wir haben uns nicht getraut, ihm das mitzuteilen. Hätten wir, liebes Tagebuch, mit der guten Nachricht beginnen sollen? Ach so, die war ja schon seit dem 8. August bekannt. Die Wiederaufforstung in Burhinyi konnte beginnen. Uvira muß halt noch warten und wir wissen nicht, ob wir da demnächst auch helfen können. Und hat die Wiederaufforstung Priorität? Aus Uvira liegen noch andere Anträge von anderen Organisationen vor, für die Integration von Kindersoldaten und für Friedensseminare mit Frauen. Wo sollen wir anfangen? Sollen wir überhaupt in Uvira anfangen? Haben wir nicht in Uvira kürzlich erst 200 Bauernfamilien geholfen, wieder eine neue Existenz aufzubauen? Müssen wir in Uvira weitermachen? Oder in Kinshasa anfangen, wo auch dringende Nothilfe zu leisten ist. Und erst im Kwango (südlich von Kinshasa) mit dem Dorfgesundheitshelferprojekt. Endlich – heute – konnte der nochmal überarbeitete Antrag auf den Weg gebracht werden. 125 „Primary Care Health Worker“ sollen ausgebildet werden in natürlicher Medizin – und dürfen keinen Eigenanteil leisten, weil sie nichts vorweisen können, was den Bundesrechnungshof überzeugen würde, daß sie wirklich was geleistet haben. Man muß nämlich wissen, daß im Bundesrechnungshof keine Spezialisten für Afrika sitzen. Sie wollen nur die richtigen Belege sehen, die sie ja auch zu sehen bekommen sollen. Aber alle vorgeschalteten Beamten haben Angst, daß die nachgewiesenen Belege für den lokalen Eigenbeitrag unserer Partnerorganisation vielleicht dem Bundesrechnungshof nach einem üppigen Mittagessen aufstoßen würden.

Deshalb muß jetzt Dialog International im nächsten Jahr 2000 Euro mehr Spenden sammeln.

Ein teures Mittagessen also. Aber wir haben ja unsere Beamten lieb. Noch mehr mögen wir aber diese wunderbaren Kongolesen, die unbeirrt ihren Weg gehen und ihren Landsleuten helfen wollen und das auch ein paar Nummern einfacher machen als ursprünglich geplant. Auf alle Fälle sollen jetzt 125 (anstelle von 250) Gesundheitshelfer – oder besser Multiplikatoren – ausgebildet werden, welche die schon lange auf dem Papier stehenden staatlichen lokalen Gesundheitsstationen wiederbeleben können und eine Art Volksmedizin propagieren, die für einfache Krankheiten ohne Medikamente auskommt, die gegen teures Geld aus Europa importiert werden müssen, oft mit wirksamen Bestandteilen, die in den Tropen als Unkraut vor der Haustüre wachsen.

Wir bilden die Leute jetzt aus, damit sie genau dieses Unkraut als Heilmittel einsetzen können. Und ob das 2.000 Euro mehr oder weniger kostet ist plötzlich ganz irrelevant. Wenn auch nur ein paar Kinder durch Artemisia annua von Malaria geheilt werden können, welches die Dorfgesundheitshelfer in ihrem Heilpflanzengarten wie einst in Bingen die heilige Hildegard ihre Kräuter anpflanzen, so sollte eigentlich Geld keine Rolle mehr spielen. Hauptsache diese Kinder werden gesund. Natürlich muß auch in Uvira aufgeforstet werden. Überhaupt muß noch ganz viel aufgeforstet werden. Letzten Samstag waren wir auf einer Misereortagung in Aachen wo nicht nur eine Delegation aus dem Kongo vorgestellt wurde sondern auch der Bischof von Kigoma in Tansania mit einem Mitarbeiter sein Leid klagte über Hunderttausende von Kongoflüchtlingen, die alle mit Holz kochen, das ja irgendwo abgeholzt wird. Ein Alptraum. Bäume pflanzen, Bäume pflanzen. Die Menschheit müßte für den Rest der Zeit nichts anderes mehr tun müssen.

Gut, in Luhwindja und in Burhinyi werden jetzt Bäume gepflanzt und dieser Tage, so berichten unsere Partner, war doch tatsächlich ganz im Geheimen eine Delegation aus Deutschland dort und hat die lokale Bevölkerung gefragt, ob denn wirklich Bäume gepflanzt würden. Sie wollten partout mit keinem Offiziellen sprechen. Nun gut, sie haben nichts anderes gesehen als daß tatsächlich reichlich Bäume gepflanzt wurden, aber ihr Gehabe war äußerst seltsam. Schickt die Bundesregierung auf diese Weise Spione in die Entwicklungsprojekte? Wir haben nichts zu verbergen. Aber vielleicht hätten sie vertiefende Informationen bekommen, wenn sie auch den einen oder anderen offiziellen Kontakt gepflegt hätten.

Wir hatten an dieser Stelle bisher auch keine Gelegenheit ein Wort zu diesem mysteriösen Massaker am 13.8. in Burundi zu sagen. Alles, war wir wissen, ist, daß wenige Kilometer von der kongolesischen Grenze entfernt in Burundi ein Flüchtlingslager mit Banyamulenge-Bewohnern existierte, also mit kongolesischen Tutsi-Flüchtlingen, die nach dem Krieg im Juni geflüchtet waren. Und genau neben dem Flüchtlingslager war eine burundische Militärkaserne (mit Tutsi-Soldaten, denn dort besteht die gesamte Armee aus Tutsis), die offenbar nichts von dem stundenlangen Gemetzel am 13. August mitbekommen haben wollen. Ist das nicht seltsam? Was machen ihre Wächter nur die ganze Zeit? Und jetzt tauchen die wildesten Gerüchte auf, wer denn wohl massakriert habe. Man wundert sich nur, daß manche Leute besser organisiert sind als andere, auch für Militärschläge.

Und dann verkündet doch tatsächlich der neue ruandische Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland in einer offiziellen Partnerschaftszeitung des deutschen Bundeslandes Rheinland-Pfalz mit seinem Heimatland in einem Interview (Ruanda-Revue 02/2004) bei der Frage:

„Also Sie halten das Land (Ruanda) im Moment für sicher. Auch vor dem Hintergrund der Konflikte im Kongo?“

Botschafter: „Wir bevorzugen den Dialog und halten einen Krieg nicht für nötig. Aber wenn wir dazu gezwungen würden, wird der Krieg nicht in Ruanda stattfinden.“

Ach ja. Ruanda hat da ja schon reichlich Erfahrung, nicht wahr? Kein Mensch findet Völkerrecht wichtig, wenn es um Afrika geht. So kann seine Excellenz unverfroren einen neuen Kongokrieg propagieren in einer Publikation, die vom rheinland-pfälzischen Ministerium des Innern und für Sport herausgegeben wird. (www.rlp-ruanda.de; die Nr.2/2004 ist dort aber leider bis heute noch nicht zu finden) Man kann sicher sein, daß dieses Ministerium ja eh keine Ahnung hat und in tiefster Provinz sein Mitleid mit den armen Negern pflegt, die sich die Köpfe einschlagen.

Ministerium des Innern und für Sport. Diese rheinland-pfälzische Außenpolitik ist wirklich wie ein Kropf, der beschnitten werden müßte. Welches Kraut ist wohl dagegen gewachsen?